Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 3102. Borreliose/Neuborreliose. Antikörpernachweis. klinisches Krankheitsbild. normativ-funktioneller Krankheitsbegriff: Funktionsstörung. Vollbeweis. Forstwirt
Leitsatz (amtlich)
Zum Vorliegen einer BK 3102 bei einem Forstwirt (Borreliose und Neuroborreliose).
Orientierungssatz
1. Auch wenn der Nachweis von IgG-Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi als Hinweis auf eine durchgemachte Infektion gewertet werden kann, kann jedoch nicht jeder Antikörpernachweis als Beweis für eine klinisch-manifeste Lyme-Borreliose gewertet werden, denn eine symptomlose Borrelien-Infektion kann nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der "Krankheit" iS des § 9 Abs 1 S 1 SGB 7 und der BK 3102 subsumiert werden.
2. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist von einem funktionellen Krankheitsbegriff auszugehen, dh, dass erforderlich ist, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird. Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen in den Körper allein im Regelfall nicht aus. Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend) einer Funktionsstörung führt.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 8. September 2014 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - (von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten) - im Folgenden: BK 3102 - besteht.
Der 1959 geborene Kläger war ab Juli 1984 als Forstwirt tätig. Am 2. September 2003 unterzog er sich einer Operation an seiner Wirbelsäule im Segment L 5/S1.
Im Dezember 2005 erfolgte durch das Forstamt P. (Arbeitgeber) eine BK-Anzeige bei der Beklagten. Beim Kläger sei es am 14. November 2005 zu Lähmungserscheinungen gekommen. Im Klinikum M. sei eine Borreliose festgestellt worden. Diese führe der Kläger auf seine Tätigkeit als Waldarbeiter infolge Zeckenbissen zurück.
Die Beklagte holte die Auskunft des Forstamtes P. vom 17. Januar 2006 ein, in der u. a. angegeben wurde, der Kläger sei seit dem 14. November 2005 arbeitsunfähig und in den 90ger Jahren mit Zecken beruflich in Berührung gekommen. Der Arbeitgeber überreichte eine Kopie des Arbeitsschutzkontrollbuches vom 30. Mai 1999, wonach auch der Kläger im Juni 1999 mehrfach durch Zecken befallen gewesen sei.
Die Beklagte zog ferner von der AOK Mecklenburg-Vorpommern ein Krankheits- und Arbeitsunfähigkeitszeitenverzeichnis über den Kläger bei. Hierin war ab dem 14. November 2005 eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers u. a. wegen der Diagnose „Lyme-Krankheit“ sowie anhaltende somatoforme Schmerzstörung aufgeführt. Für die Zeit vom 21. August 2003 bis 31. Oktober 2004 war eine Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose „Lumboischialgie“ aufgeführt. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumbalgie fanden sich bereits im Jahr 1992 und 1994 sowie vermehrt ab dem 2. März 2000.
Die Beklagte zog des Weiteren die Epikrise des Klinikums M. vom 9. Januar 2006 bei, in der über die dortige stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 14. bis 25. November 2005 berichtet wurde (Diagnosen: Lyme-Arthritis mit Schmerzfaser-Polyneuropathie, reaktive Depression und chronisches Schmerzsyndrom bei Z. n. Bandscheiben-OP). Hierin hieß es zusammengefasst u. a., laborchemisch sei eine abgelaufene Borrelien-Infektion nachweisbar gewesen. Es werde davon ausgegangen, dass beim Kläger in der Vergangenheit eine Borrelien-Infektion mit einer lumbalen Plexusneuritis abgelaufen sei. Aus dieser Infektion habe sich im Verlauf eine Lyme-Arthritis sowie ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt. Aufgrund der chronischen Schmerzen habe sich eine reaktive Depression eingestellt. Die Lyme-Arthritis, die im Sinne einer Autoimmunreaktion bei abgelaufener Borrelien-Infektion zu werten sei, sei mit hochdosierten Kortison-Infusionen behandelt worden.
Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin DM J. vom 24. Januar 2006 ein die angab, der Kläger habe am 2. September 2005 über unklare Gelenkbeschwerden in den Händen und Schmerzen im linken Arm und linken Bein geklagt. Die Laborwerte vom 2. September 2005 hätten einen fraglichen positiven Borrelia-burgdorferi IgG-AK ergeben. Sie fügte den Arztbrief der Internistin Dr. B. vom 7. Oktober 2005 bei, wonach sich beim Kläger zur Zeit kein Anhalt für eine rheumatische Erkrankung ergebe. Die Beklagte zog des Weiteren Unterlagen der Universitätsklinik Greifswald über die im September 2003 durchgeführte Operation an der Wirbelsäule des Klägers bei und holte den Befundbericht des...