Entscheidungsstichwort (Thema)
Örtliche Zuständigkeit. Bestimmung des zuständigen Gerichts. Verweisungsbeschluß. Bindungswirkung. offensichtlicher Irrtum
Leitsatz (amtlich)
Ein Beschluß, durch den der Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit weiterverwiesen wird, ist ausnahmsweise dann nicht bindend, wenn das verweisende Gericht eine gesetzliche Zuständigkeitsregelung offensichtlich übersehen hat.
Tatbestand
Der Beschluß betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs 1 Nr 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger betreibt in L und Umgebung einen ambulanten Pflegedienst. Er begehrt von der beklagten Krankenkasse die Zahlung einer Vergütung für erbrachte Pflegeleistungen nach § 37 iVm § 132 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V).
Am 22. Juli 1997 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben. Das SG Münster hat sich mit Beschluß vom 5. Februar 1998 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Osnabrück verwiesen. Mit Beschluß vom 7. April 1998 hat sich das SG Osnabrück ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Hannover verwiesen. Auch das SG Hannover hat sich schließlich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Beschluß vom 20. Mai 1998).
Entscheidungsgründe
Örtlich zuständig ist das SG Hannover. Der Verweisungsbeschluß des SG Münster bindet das SG Osnabrück nicht. Dessen Verweisungsbeschluß bindet aber das SG Hannover.
Die Anrufung des LSG Niedersachsen zur Bestimmung des für den Rechtsstreit örtlich zuständigen SG ist nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG zulässig. Nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
Nach § 98 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht bindend, an das der Rechtsstreit verwiesen wird. Diese Bindungswirkung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG zu beachten. Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Denn die Zielsetzung des § 17a Abs 2 Satz 3 GVG ist es, unnötige und prozeßökonomisch nicht sinnvolle Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Ein Verweisungsbeschluß hat aber dann keine Bindungswirkung, wenn er ausnahmsweise anfechtbar ist (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1998, § 98 Anm 9 mwN). Voraussetzung hierfür ist, daß die Verweisung offensichtlich gesetzeswidrig ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - BAG -, vgl Beschluß vom 11. November 1996 - 5 AS 12/96 - in NJW 1997, 1091 mwN). Das ist dann der Fall, wenn sich das verweisende Gericht offensichtlich über den Ort des zuständigen SG's geirrt hat (so bei Irrtum über den Wohnsitz der Beteiligten: BAG, aaO; bei Irrtum über die Zuordnung des maßgebenden Ortes zu einem Gerichtsbezirk: BAG, Beschluß vom 31. Januar 1994 - 5 AS 23/93 - in NZA 1994, 959; vgl auch Meyer-Ladewig, aaO, § 98 Anm 9). Durch eine irrtümliche Verweisung wird eine Zuständigkeit des Gerichts, an das fälschlicherweise verwiesen worden ist, nicht begründet. Ein solcher Verweisungsbeschluß entfaltet keine Bindungswirkung. Entsprechendes gilt nach Auffassung des Senats, wenn das verweisende Gericht eine gesetzliche Zuständigkeitsregelung offensichtlich übersehen hat.
Im vorliegenden Fall hat das SG Münster bei der Verweisung an das SG Osnabrück die besondere örtliche Zuständigkeitsbestimmung des § 57a SGG für die Verfahren nach § 51 Abs 2 Satz 1 SGG offensichtlich übersehen.
Nach § 57a SGG ist in Angelegenheiten des § 51 Abs 2 Satz 1 SGG in allen Fällen, die nicht Fragen des Kassen (zahn)arztrechts oder Angelegenheiten auf Bundesebene betreffen, das SG zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat. Voraussetzung ist, daß durch Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt ist. § 51 Abs 2 Nr 3 SGG betrifft die Angelegenheiten nach dem SGB V aufgrund von Entscheidungen oder Verträgen der Krankenkassen oder ihrer Verbände. Um eine solche Angelegenheit handelt es sich hier. Denn der Kläger - ein nichtärztlicher Leistungserbringer -begehrt mit seiner Klage die Vergütung von Leistungen, die er gegenüber einer Versicherten gem § 37 iVm § 132 SGB V zu Lasten der beklagten gesetzlichen Krankenkasse erbracht hat. Weder das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz vom 18. November 1994 iVm dem Gesetz vom 29. November 1993 (Nds GVBl 1984, 267; 1993, 587) noch eine anderweitige landesrechtliche Regelung bestimmen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit für die Fälle des § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGG etwas Abweichendes. Damit ist nach § 57a letzte Alternative SGG das niedersächsische Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat. Das ist das Sozialgericht Hannover.
Die Verweisung des Rechtsstreit...