Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Prozesskostenhilfe. beigeordneter Rechtsanwalt. rechtsmissbräuchliche Geltendmachung der Prozesskostenhilfe-Vergütung gegenüber der Staatskasse. Vereitelung des Erstattungsanspruchs nach § 59 RVG. bewusstes Handeln zum Nachteil der Staatskasse. Verpflichtung zur kostensparenden Prozessführung. Vergleichsabschluss zur Erzeugung einer Gebühr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es widerspricht Treu und Glauben nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 BGB, wenn der Rechtsanwalt aus der Staatskasse auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung eine Vergütung fordert, obwohl er ohne hinreichenden sachlichen Grund den Erstattungsanspruch der Staatskasse nach § 59 Abs 1 S 1, Abs 2 RVG iVm § 126 Abs 1 ZPO von vornherein unmöglich gemacht hat.

2. Eine Schädigungsabsicht des Rechtsanwaltes ist nicht erforderlich. Ausreichend ist vielmehr, wenn es ihm bewusst ist, zum Nachteil der Staatskasse zu handeln.

 

Orientierungssatz

1. Aufgrund des - auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden - Grundsatzes von Treu und Glauben und des daraus abgeleiteten Missbrauchsverbots trifft jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner - und indirekt aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der Staatskasse - erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl LSG Celle-Bremen vom 15.11.2018 - L 7 AS 73/17 B = AGS 2019, 136; BGH vom 20.5.2014 - VI ZB 9/13 = NJW 2014, 2285).

2. Liegen in einem Klageverfahren objektiv keine Gründe vor, die einen Vergleichsabschluss geboten erscheinen lassen, ist es rechtsmissbräuchlich, wenn ein Rechtsanwalt einen Vergleich für seinen Mandanten (auch) deshalb abschließt, um eine weitere Gebühr (hier die Einigungsgebühr) zu erhalten.

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den die Erinnerung zurückweisenden Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH).

Der Beschwerdeführer wurde in einem am 19. November 2015 anhängig gemachten, auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gerichteten Klageverfahren der dortigen Klägerin als Prozessbevollmächtigter mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 3. Februar 2016 beigeordnet. Im Streit stand die Rechtmäßigkeit einer 100-Prozent-Sanktion der Klägerin für drei Monate. Im Laufe des Verfahrens erklärte der dortige Beklagte auf einen Hinweis des SG, dass er zwar die Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen nicht teile, als Behörde verpflichtet zu sein, bereits mit der Sanktionierung eine Ermessensentscheidung darüber treffen zu müssen, ob und in welchem Umfang dem Betroffenen im Sanktionszeitraum ergänzende Sachleistungen gewährt werden sollen. Weil aber zu erwarten sei, dass das SG dem LSG folge, sei er bereit, im Wege eines Vergleichs die Sanktion zurückzunehmen, wenn eine Kostenerstattung zwischen den Beteiligten nicht stattfinde. Der Beschwerdeführer wandte sich daraufhin an das SG und schlug vor, einen Vergleich zu schließen, der eine Rücknahme der Sanktion durch den Beklagten ohne Erstattung der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs vorsehen solle. Mit Beschluss vom 4. März 2016 unterbreitete das SG sodann als gerichtlichen Vergleich den Vorschlag, dass der Beklagte den Sanktionsbescheid zurücknehme, die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Vergleichs aber nicht erstattet würden. Diesen Vorschlag nahmen die dortigen Beteiligten an.

Mit Schreiben vom 4. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer beim SG die Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren. Abgerechnet wurden dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 330,00 €, eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 297,00 €, eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006, 1005 VV RVG in Höhe von 330,00 €, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 € und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 185,63 €, insgesamt also 1.162,63 €.

Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 18. April 2016 setzte die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim SG die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 852,04 € fest. Sie setzte dabei die Verfahrensgebühr in Höhe von 240,00 € an. Die Terminsgebühr setzte sie in Höhe von 90 % der Verfahrensgebühr, mithin in Höhe von 216,00 € an. Die Einigungsgebühr setzte sie in Höhe der Verfahrensgebühr an, also mit 240,00 €. Hinzu kamen noch die Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 € und die Umsatzsteuer in Höhe von 136...

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