Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Einigungsgebühr. Gebührenanfall bei außergerichtlichem Vergleich. Einbeziehung eines außergerichtlichen Sachverhalts. kein Anspruch bei Vereitelung des Erstattungsanspruchs nach § 59 RVG. Treu und Glauben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch außergerichtlich geschlossene Vergleiche können die Entstehung einer Einigungsgebühr nach Nr 1006 Abs 1 iVm Nr 1005 iVm Nr 1000 Abs 1 S 1 VV RVG (juris: RVG-VV) auslösen.

2. Der Entstehung der Einigungsgebühr nach Nr 1006 Abs 1 iVm Nr 1005 iVm Nr 1000 Abs 1 S 1 VV RVG steht auch nicht entgegen, dass eine außerhalb des gerichtlich anhängigen Streitgegenstandes liegende Streitigkeit in den Vergleich einbezogen worden ist.

3. Es widerspricht Treu und Glauben nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 BGB, wenn der Rechtsanwalt aus der Staatskasse auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung eine Vergütung (hier: die Einigungsgebühr) fordert, obwohl er ohne hinreichenden sachlichen Grund den Erstattungsanspruch der Staatskasse nach § 59 Abs 1 S 1, Abs 2 RVG iVm § 126 Abs 1 ZPO von vornherein unmöglich gemacht hat (Bestätigung der Entscheidung des Senats vom 3.5.2019 - L 7 AS 12/17 B).

 

Normenkette

RVG § 33 Abs. 3 Sätze 1, 3, § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 2 S. 1, § 58 Abs. 2, § 59 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; VV RVG Nr. 1000 Abs. 1 Sätze 1-2, Nrn. 1005, 1006 Abs. 1, Nrn. 3102, 3106 S. 1 Nr. 1; BGB §§ 242, 779 Abs. 1; ZPO § 126 Abs. 1; BRAGO § 23; SGG § 96

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 27. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH).

Der Beschwerdeführer wurde in einem am 10. Oktober 2014 anhängig gemachten, auf die Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 1. Juni 2010 hinsichtlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Monat Dezember 2008 gerichteten Klageverfahren dem dortigen Kläger als Prozessbevollmächtigter mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 20. November 2015 ab Antragstellung am 5. November 2015 beigeordnet. Im Laufe des Klageverfahrens hob der dortige Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2015 seinen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid auf. Gleichzeitig setzte er mit Bescheid vom 20. November 2015 die dem Kläger für Dezember 2008 zustehenden Leistungen nach dem SGB II endgültig fest und machte eine Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 135,00 Euro geltend. Das Verfahren endete in der mündlichen Verhandlung des SG am 26. November 2015 durch gerichtlichen Vergleich. Unter Punkt 1 des Vergleichs hieß es: „Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der vorliegende Rechtsstreit insgesamt erledigt ist.“ Unter Punkt 2 des Vergleichs vereinbarten die Beteiligten: „Der Kläger legt keinen Widerspruch ein gegen die Bescheide vom 20. November 2015, betreffend den Erstattungsbescheid für Dezember 2008 und die endgültige Festsetzung im Änderungsbescheid für Dezember 2008.“ Unter Punkt 3 des Vergleichs regelten die Beteiligten: „Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers mit Ausnahme der Vergleichsgebühr.“

Mit Schreiben vom 29. November 2015 beantragte der Beschwerdeführer beim SG die Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren. Abgerechnet wurden dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) eine Einigungsgebühr nach „Nr. 1006, 3102 VV RVG“ in Höhe von 250,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 51,30 Euro, insgesamt also 321,30 Euro.

Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2015 setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle beim SG die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 261,80 Euro fest. Er setzte dabei eine Verfahrensgebühr in Höhe von 100,00 Euro sowie die Einigungsgebühr in Höhe von 100,00 Euro an. Hinzu kamen noch die Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 Euro und die Umsatzsteuer in Höhe von 41,80 Euro. In der Begründung führte er aus, zu Gunsten des Beschwerdeführers sei er davon ausgegangen, dass dieser sowohl eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG als auch eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG jeweils in Höhe von 250,00 Euro habe geltend machen wollen. Der Antrag sei in diesem Punkt nicht vollständig nachvollziehbar gewesen. Ohne Kenntnis der Höhe der Verfahrensgebühr wäre eine Festsetzung allein der Einigungsgebühr jedoch ohnehin nicht möglich gewesen. Die geringere Höhe der festgesetzten Verfahrensgebühr resultiere zusammengefasst aus dem sehr kurzen Beiordnungszeitraum.

Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 22. Dezember 2015 beim SG Erinnerung eingeleg...

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