Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. eheähnliche Gemeinschaft. Einstehensgemeinschaft. Vermutungsregelung. Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gesetzgeber hat bei der Neuformulierung von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 im Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (juris: GSiFoG) vom 20.6.2006 an den tradierten Begriffsinhalt der Einstandsgemeinschaft, wie er sich aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergibt, angeknüpft und wollte diesen ausweislich der Gesetzesmaterialien nicht verändern.
2. Leistungsträger sind für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der nunmehr in § 7 Abs 3a SGB 2 normierten Vermutungsregelung beweispflichtig.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichtes Hildesheim vom 12. Mai 2006 wird aufgehoben.
Die Beschwerdegegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Beschwerdeführer für den Zeitraum März bis Juli 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - ohne Berücksichtigung des Vorliegens einer Partnerschaft mit der Mitbewohnerin des Beschwerdeführers Frau C. zu gewähren.
Dem Beschwerdeführer wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe gewährt.
Die Beschwerdegegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers in erster und zweiter Instanz zu tragen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Anordnungsverfahren um die Frage, ob der Beschwerdeführer und die mit ihm in einer Wohnung lebende Frau D. eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bilden.
Der 1954 geborene Beschwerdeführer, bei dem ein Grad der Behinderung nach dem SGB IX von 60 anerkannt ist, und Frau D. unterschrieben am 10.November 2005 einen Mietvertrag über eine 3-Zimmer-Wohnung mit 77,53 qm Wohnfläche in der E. 11, 2. Obergeschoss rechts in F.. Dieser Mietvertrag ist von beiden Personen unterschrieben, wobei sie als erster und zweiter Vertragspartner bezeichnet sind. Die Mietzeit begann am 01.Januar 2006. Am 27.Januar 2006 wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Leistungsantrag an die Beschwerdegegnerin. In seinem Leistungsantrag gab er u.a. an, er sei seit 1986 geschieden und habe bis zum 01.Mai 2005 Arbeitslosengeld I bezogen. Mit Bescheid vom 27.Januar 2006 gewährte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer Leistungen, wobei sie bei der Berechnung der Höhe dieser Leistungen davon ausging, der Beschwerdeführer lebe in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau D.. Daher wurde Einkommen der Frau D. bei der Berechnung des Bedarfs berücksichtigt. Mit weiteren Bescheiden vom 27.Januar 2006 verweigerte die Beschwerdegegnerin die Zahlung eines Vorschusses, da noch Unterlagen über das Einkommen von Frau D. fehlten, und forderte den Beschwerdeführer auf, diese vorzulegen.
Am 01.Februar 2006 sprach Frau D. bei der Beschwerdegegnerin vor und gab an, sie habe den Beschwerdeführer nunmehr 1 Jahr “durchgefüttert„ und sehe nicht ein, dies weiter zu tun. Mit weiterem Schreiben vom 07.Februar 2006 wies die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer darauf hin, die angemietete Wohnung sei grundsicherungsrechtlich unangemessen groß und teuer, die Unterkunftskosten müssten daher gesenkt werden. Mit Bescheid vom 07.Februar 2006 verfügte die Beschwerdegegnerin ergänzend, ab 01.März 2006 würden keine Leistungen gezahlt, da die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt und damit Mitwirkungspflichten nicht erfüllt worden seien.
Daraufhin erschien Frau D. am 10.Februar 2006 erneut im Amt und gab unter Protest die angeforderten Unterlagen ab. Hieraus ergibt sich u.a., dass Frau D. in einem Beschäftigungsverhältnis in G. steht. Weiter ergibt sich aus ihren Kontoauszügen, dass eine Kontokarte 2 existiert, womit Abhebungen getätigt werden.
Mit Widerspruch vom 03.März 2006 wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft. Diesen Widerspruch wies die Beschwerdegegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 08.März 2006 zurück. Zur Begründung führte sie zunächst aus, Frau D. habe im Amt angegeben, sie habe den Beschwerdeführer “durchgefüttert„. Dies deute auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft hin. Gleiches ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer und Frau D. einen gemeinsamen Mietvertrag abgeschlossen hätten. Weiter ergebe sich aus den nunmehr vorliegenden Unterlagen, dass der Beschwerdeführer und Frau D. gemeinsame Schulden hätten. Auch dies deute auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft hin.
Mit weiterem Widerspruch wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Versagung von Leistungen ab dem 01.März 2006. Insoweit half die Beschwerdegegnerin mit Abhilfebescheid vom 10.März 2006 ab.
Bereits am 02.März 2006 hat sich der Beschwerdeführer mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz an das Sozialgericht (SG) Hildesheim gewandt. Im Verlauf des einstweiligen Anordnungsverfahrens ist der Änderungsbescheid der Beschwerdegegnerin ...