Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. geschiedene Ehegatten. Einstehensgemeinschaft. Vermutungsregelung. Beweislast. Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes
Leitsatz (amtlich)
Voraussetzung für die Annahme einer Einstandsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr 3 SGB II ist zunächst der Nachweis, dass die Beteiligten zusammen wohnen. Beweispflichtig beziehungsweise glaubhaftmachungspflichtig ist insoweit der Leistungsträger.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 6. Juni 2007 wird aufgehoben.
Die Beschwerdegegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Beschwerdeführer unter dem Vorbehalt der Rückforderung unterhaltssichernde Leistungen nach SGB II ab dem 30. April 2007 in gesetzlicher Höhe bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Entscheidung des Senats zu bewilligen.
Die Beschwerdegegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers in beiden Instanzen zu tragen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat es in seinem Beschluss vom 6. Juni 2007 zu Unrecht abgelehnt, dem Beschwerdeführer in Anwendung von § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Der unterhaltssichernde Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) versagende Bescheid der Beschwerdegegnerin vom 9. März 2007 ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren insbesondere im Hinblick auf die zu Grunde zu legenden Tatsachen nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig.
Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts und der heranzuziehenden Rechtsnormen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug auf die zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Beschluss (S. 2 erster Absatz bis S. 3 3. Abs. der Beschlussausfertigung).
Der Senat vermochte sich indessen im Gegensatz zum SG - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags - nicht davon zu überzeugen, dass die Beschwerdegegnerin das Vorliegen einer Einstandsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II des Beschwerdeführers mit seiner geschiedenen Ehefrau C. glaubhaft gemacht hat.
Insoweit kann sich die Beschwerdegegnerin nicht auf die Vermutungsregelung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II berufen, weil schon nicht glaubhaft gemacht ist, dass der Beschwerdeführer mit seiner geschiedenen Ehefrau zusammen wohnt.
In dieser Vorschrift heißt es, ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen - wie er nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II Voraussetzung für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft ist - werde vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben. In der Literatur ist umstritten, ob diese Vorschrift verfassungsgemäß ist (vgl. insoweit Wenner, Soziale Sicherheit, 2006, S. 146; Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf, Deutscher Bundestag, Drs. 16/1696 S. 20; kritisch auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, a.a.O. S. 17). Die Frage, ob dies zutrifft, kann jedoch für die Durchführung dieses Verfahrens dahin stehen.
Auch unter Zugrundelegung der Vorschrift ergibt sich nämlich aus dem, was die Beschwerdegegnerin in Ausübung ihrer Amtsermittlungspflicht aus § 20 SGB X bisher ermittelt hat, für den Senat nicht bereits mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner geschiedenen Frau eine Partnerschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II vorliegt. Der Gesetzgeber hat mit den dort gewählten Formulierungen bewusst an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung angeknüpft (vgl. hierzu ausführlich die Begründung des Gesetzentwurfs in Deutscher Bundestag, Drucksache 16/1410, S. 19 f; Wenner, a.a.O. S. 147 unter erneutem Hinweis auf BVerfGE 87,234,264; dazu auch Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 13 Rn 107). Voraussetzung für die Annahme einer Partnerschaft im Sinne des neugefassten § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II ist also nach wie vor nur eine derart dichte und auf Dauer angelegte Verbindung, dass angenommen werden kann, die Partner fühlten sich so füreinander verantwortlich, dass sie zunächst ihren gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden. Dass der Gesetzgeber an diesem Begriffsinhalt auch weiterhin festhalten wollte, ergibt sich auch schon aus dem Anlass der Umformulierung der Vorschrift. Diese sollte - ausweislich der schon zitierten Gesetzesbegründung - lediglich dazu dienen, auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in die Definition einzubeziehen, die eine gleichartige Verbundenheit erreicht haben, wie dies bei den bereits erfassten verschieden geschlechtlichen Lebensgemeinschaften der Fall war. Vor diesem Hintergrund war es nicht erforderlich, von dem tradierten Begriff der Einstandsgemeinschaft - wie er vom Bundesv...