Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. hausarztzentrierte Versorgung. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen Schiedsspruch. vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung. Hausärztegemeinschaft. Befugnis zur Einleitung eines Schiedsamtsverfahrens. eingeschränkte Überprüfung des Schiedsspruchs durch Sozialgerichte. Ausgestaltung der hausarztzentrierten Versorgung als Vollversorgung
Leitsatz (amtlich)
Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Schiedsspruch im Rahmen eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung ist nur statthaft, soweit sich der Antragsteller gegen seine Pflicht zum Vertragsabschluss wendet. Soweit er die Rechtmäßigkeit einzelner inhaltlicher Bestimmungen des Schiedsspruchs bestreitet, ist vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG zu gewähren.
Orientierungssatz
1. Eine Hausärztegemeinschaft ist befugt ein Schiedsamtsverfahren einzuleiten, wenn ihr mindestens 50 Prozent der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte im Bezirk einer Kassenärztlichen Vereinigung angehören. Eine rechtsverbindliche Einbeziehung der Ärzte iS von § 164 Abs 1 BGB ist demgegenüber nicht erforderlich.
2. Die Sozialgerichte können einen Schiedsspruch nach § 73b Abs 4a S 1 SGB 5 nur in eingeschränktem Umfang überprüfen.
3. Es ist weder unbillig iS von § 319 Abs 1 S 1 BGB noch verstößt es gegen die rechtlichen Vorgaben des SGB 5, eine hausarztzentrierte Versorgung inhaltlich als Vollversorgung auszugestalten.
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragsgegner wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 24. September 2010 aufgehoben.
Die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 15. April 2010 werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert für das erstinstanzliche und das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entscheidung einer Schiedsperson nach § 73b Abs 4a S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Nachdem Verhandlungen zwischen der Antragstellerin (Astin) und dem Antragsgegner (Ag) zu 2. über den Abschluss eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) gemäß § 73b Abs 1 und 4 SGB V gescheitert waren, bestimmte die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales der Freien Hansestadt Bremen mit Bescheid vom 28. August 2009 den Ag zu 1. als Schiedsperson iSv § 73b Abs 4a S 1 SGB V.
Seinem Schiedsspruch zur HzV vom 23. Dezember 2009 legte der Ag zu 1. als Ausgangsbasis einen Vollversorgungsvertrag nach dem Modell des Deutschen Hausärzteverbandes zugrunde, ergänzte diesen um einen Ausschluss von Kindern und Jugendlichen für die Teilnahme an der HzV (vgl hierzu ua § 3 Abs 1 S 1 des Vertrags) und entschied ferner, dass die Vergütungs- und Abrechnungsregelungen des Vertrags erst nach Abschluss einer Bereinigungsvereinbarung iSv § 73b Abs 7 SGB V in Kraft treten (vgl hierzu § 9 Abs 5 des Vertrags). Außerdem legte er im Leistungsverzeichnis des HzV für eine kontaktunabhängige Pauschale einen im Vergleich zum Angebot des Ag zu 2. um 5 Euro niedrigeren Vergütungswert fest.
Die Astin hat am 15. April 2010 beim Sozialgericht (SG) Bremen unter dem Aktenzeichen S 1 KA 35/10 Klage gegen den Schiedsspruch erhoben und zusätzlich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zum einen sei der Ag zu 2. nicht berechtigt gewesen, die Einleitung eines Schiedsverfahrens zu beantragen. Er erfülle nicht die Voraussetzungen einer Gemeinschaft iSv § 73b Abs 4 S 1 SGB V, weil er nicht mindestens die Hälfte der Allgemeinärzte des Bezirks einer Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) iSv § 73b Abs 4 S 1 “vertrete„. Dieser Begriff beziehe sich auf ein Vertreten nach Maßgabe einer rechtsgeschäftlichen Stellvertretung (vgl hierzu § 164 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ≪BGB≫), sodass die Gemeinschaft die vertretenen Ärzte bereits beim Vertragsschluss rechtsverbindlich in den Versorgungsvertrag einbeziehen können müsse. Die vom Ag zu 2. hierzu vorgelegten “Mandatierungen„ entsprächen diesen Voraussetzungen nicht und seien darüber hinaus inhaltlich unzureichend.
Zum anderen verletze der Schiedsspruch zwingende gesetzliche Vorgaben. Dem SGB V sei nicht zu entnehmen, dass eine HzV ausschließlich in Form eines Vollversorgungsvertrags zulässig sei. Außerdem sei die im Schiedsspruch vorgesehene Vergütung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot, dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität sowie den Vorgaben des § 53 SGB V nicht vereinbar. Der durch den Schiedsspruch festgesetzte Vertrag widerspreche zudem den gesetzlichen Vorgaben des Sozial- und Patientendatenschutzes.
Das SG hat mit Beschluss vom 24. September 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage in dem Verfahren S 1 KA 35/10 angeordnet. Die Festsetzung des Vertragsinhalts einer HzV durch die Schiedsperson sei...