Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Zweipersonenhaushalt. Umzug aus gesundheitlichen Gründen. Ablehnung der Zusicherung. Angemessenheitsprüfung. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts. keine konkrete Verfügbarkeit bzw Anmietbarkeit angemessener Unterkünfte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im einstweiligen Rechtsschutz kann in aller Regel nicht zur Erteilung einer Zusicherung im Sinne des § 22 SGB II verpflichtet werden, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH).

2. Die Bestimmung der KdUH-Angemessenheitsgrenze erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren (abstrakte Angemessenheitsprüfung; anschließend konkrete Angemessenheitsprüfung, soweit die tatsächlich aufzubringenden Wohnkosten über der abstrakt ermittelten Referenzmiete liegen).

3. Lagen nach den Ermittlungen des Leistungsträgers im letzten Vierteljahr lediglich 3 Wohnungen (= 2,73 % der Wohnungsinserate für den gesamten Vergleichsraum) bzw lediglich 1 Wohnung in der Kreisstadt (= 1 % der Wohnungsinserate für die Kreisstadt) eindeutig innerhalb der vom Leistungsträger festgelegten Mietobergrenze, kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die vom Leistungsträger festgelegte Mietobergrenze nicht als konkret angemessen angesehen werden.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. Februar 2019 wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei den Antragstellern für die Zeit ab dem Umzug in die Wohnung I. 51, J., bis zum 30. September 2019 (längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahren S 23 AS 179/19) eine Bruttokaltmiete i.H.v. 495,- Euro pro Monat vorläufig als angemessen i.S.d. § 22 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) anzusehen.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens S 23 AS 179/19 vorläufig 720,- Euro für die Mietkaution darlehensweise zu gewähren.

Die darüber hinausgehende Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die vorläufige Übernahme von Kosten für eine von den Antragstellern für die Zeit ab 1. April 2019 in J. angemietete Wohnung.

Die 1979 geborene Antragstellerin zu 1. sowie ihr Ehemann, der 1974 geborene Antragsteller zu 2., leben in einer angemieteten Zwei-Zimmer-Wohnung in der K. 72 in L.. Sie beziehen vom Jobcenter Landkreis L. laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), zuletzt für die Zeit von Februar bis Juli 2019 i.H.v. 916,50 Euro pro Monat (davon: 448,04 Euro für Kosten der Unterkunft und Heizung - KdUH). Bei der Antragstellerin zu 1. ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt; über einen Antrag auf Erhöhung ihres GdB ist noch nicht entschieden worden. Beim Antragsteller zu 2. beträgt der GdB 80; zusätzlich wurden die Nachteilsausgleiche G und B festgestellt.

Am 23. Januar 2019 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner (d.h. bei dem u.a. für das Stadtgebiet J. zuständigen Jobcenter) die Erteilung einer Zusicherung hinsichtlich der Kosten einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der M. 51 in J. (Zwei-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock, 58,93 qm Wohnfläche; Ausstattung mit Fahrstuhl; Brutto-Kaltmiete: 495,-- Euro; Heizkostenabschlag: 75,-- Euro). Die Antragsteller gaben an, diese Wohnung zum 1. April 2019 anmieten zu wollen. Als Gründe für den Umzug gaben sie wörtlich an: “Gesundheitliche Gründe (Attest kann nachgereicht werden); C. hat GdB 80 %, Merkzeichen B und G; N. hat Umgangsrecht mit zwei Kindern.„ Gleichzeitig beantragten sie die darlehensweise Übernahme der Mietkaution i.H.v. 720,-- Euro.

Der Antragsgegner lehnte beide Anträge mit der Begründung ab, dass die für die Wohnung anfallenden Kosten nicht angemessen und somit zu hoch seien. Nach dem für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II maßgeblichen KdU-Konzept (“Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel für den Landkreis J., Stand: Januar 2017„) betrage der Höchstbetrag für die Bruttokaltmiete eines Zweipersonenhaushalts (Wohnungsgröße bis 60 qm) 405,- Euro, während die in Aussicht genommene Wohnung 495,- Euro koste. Dementsprechend könne weder eine Zusicherung erteilt noch ein Mietkautionsdarlehen gewährt werden (Bescheide vom 25. Januar 2019).

Im Widerspruchsverfahren machten die Antragsteller geltend, aufgrund ihrer Schwerbehinderung Anspruch auf einen “Mehrbedarf Wohnraum für Schwerbehinderte„ zu haben. Der Antragsteller zu 2. könne wegen seiner Erkrankungen (u.a. Asthma und Schmerzsyndrom) nicht mehrere Stockwerke treppensteigen. Bei ihm sei eine erhebliche Gehbehinderung und die Notwendigkeit einer Begleitung festgestellt worden (Nachteilsausgleiche G und B); mittlerweile müsse er einen Rollator benutzen. Aufgrund der psychischen Erkrankung des Ant...

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