Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Vorverfahren. Anwendung oder Nichtanwendung der Ausnahmeregelung des § 106 Abs 5 S 8 SGB 5

 

Orientierungssatz

1. Die Ausnahmeregelung des § 106 Abs 5 S 8 SGB 5 ist auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt. Lediglich "mittelbare" Ausschlüsse durch andere Gesetze genügen nicht (vgl BSG vom 11.5.2011 - B 6 KA 13/10 R = BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr 32).

2. Geht es in einem Rechtsstreit nicht um einen Verordnungsausschluss dem Grunde nach, sondern um die Überschreitung einer bestimmten Menge, ist ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss unverzichtbar.

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 27. November 2013 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Im der Beschwerde zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses im Quartal I/2008 nach § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wegen Verstoßes gegen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinien).

Mit Schreiben vom 4. November 2008 beantragte die Beigeladene zu 1) bei der Beklagten die Feststellung eines “sonstigen Schadens„ in Höhe von insgesamt 741,60 Euro wegen Überschreitung der Höchstverordnungsmenge bei Heilmitteln gegen Wirbelsäulen- und Extremitätenerkrankungen von 18 Einheiten bei 10 Patienten. Daraufhin informierte die Beklagte den Kläger über den Antrag und gab Gelegenheit zur Stellungnahme (Schreiben vom 9. Dezember 2009). Im Verwaltungsverfahren machte der Kläger geltend, dass es sich bei den monierten Rezepten um Verordnungen im Regelfall bei neuem Regelfall handele bzw bei vier namentlich benannten Patienten um eine Dauerbehandlung. Die Dauerverordnungen für diese vier Patienten seien allesamt medizinisch begründet und nachvollziehbar. Mit Bescheid vom 26. August 2010 setzte die Beklagte einen Regress in Höhe von 685,28 Euro fest und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Zur Begründung legte sie für jeden Einzelfall dar, dass die beanstandeten Verordnungen von Krankengymnastik, Wärmetherapie und Manueller Therapie gegen die geltenden Heilmittel-Richtlinien verstießen. Ein rechtmäßiges Alternativverhalten, dh die Behauptung, dass bei einer entsprechenden Kennzeichnung “außerhalb des Regelfalles„ eine Genehmigung erfolgt wäre, sei unerheblich. Die Heilmittel-Richtlinien beanspruchten gegenüber Vertragsärzten unmittelbare Geltung. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde der Kläger auf die Klage vor dem Sozialgericht (SG) verwiesen.

Der Kläger hat am 14. September 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, das das Verfahren zwecks Durchführung eines Vorverfahrens mit Beschluss vom 27. November 2013 ausgesetzt hat. Zur Begründung des Beschlusses hat die Kammer ausgeführt, dass die Feststellung eines Schadens erforderlich sei. Zwar habe der Kläger Formverstöße begangen, indem er die meisten streitgegenständlichen Verordnungen nicht mit dem Zusatz “außerhalb des Regelfalls„ gekennzeichnet habe. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass die verordneten Heilmittel zur jeweiligen Krankenbehandlung notwendig gewesen seien. Der Kläger habe aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Verordnungen den Nachweis ihrer medizinischen Notwendigkeit in einem Widerspruchsverfahren zu führen. Die Beurteilung, ob eine Verordnung außerhalb des Regelfalls erfolgen durfte, könne nicht allein mit Hilfe der Heilmittel-Richtlinien geklärt werden.

Gegen den Aussetzungsbeschluss hat die Beklagte am 23. Dezember 2013 Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt und geltend gemacht, dass der Weg für ein Vorverfahren nach § 106 Abs 5 S 8 SGB V gesperrt sei. Die Mengenüberschreitung führe zu einer Unzulässigkeit der Verordnungen, die sich unmittelbar aus den Heilmittel-Richtlinien ergebe. Die fehlende Kennzeichnung auf dem Rezept als Verordnung außerhalb des Regelfalls habe eine Überprüfbarkeit im Genehmigungsverfahren der Krankenkasse verhindert. Eine medizinische Prüfung durch den Beschwerdeausschuss sei daher nicht geboten.

Die Beigeladene zu 1) hat sich der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin angeschlossen. Für die vorliegende Regressentscheidung komme es nicht auf eine medizinische Bewertung an. In den Fällen eines unmittelbaren Verordnungsausschlusses bedürfe es keiner Befassung des Beschwerdeausschusses.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft.

Nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet gegen Entscheidungen der SGe mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das LSG statt, soweit ni...

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