Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung des maßgeblichen Erklärungsinhalts eines von der Agentur für Arbeit ausgehändigten Bildungsgutscheines. Weiterbildung zur Physiotherapeutin. Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres

 

Orientierungssatz

1. Der Inhalt eines dem Antragsteller ausgehändigten Bildungsgutscheins ist nach dem insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln.

2. Übernimmt die Agentur für Arbeit mit dem Bildungsgutschein "die Kosten für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung" unter der Bedingung, dass die Weiterbildung für die Weiterbildungsförderung nach § 85 SGB 3 zugelassen ist, so ist diese so zu verstehen, dass damit die Finanzierung aller erforderlichen Ausbildungsjahre positiv festgestellt ist und die Kostenübernahme nur noch davon abhängt, ob auch die institutionellen Voraussetzungen erfüllt werden.

3. Die volle Kostenübernahme ist damit lediglich davon abhängig, dass der Bildungsgutschein bei einem zertifizierten Bildungsträger eingelöst wird und für die Maßnahme selbst eine Zertifizierung vorliegt.

 

Normenkette

SGB III a.F. § 77 Abs. 4, § 85 Abs. 2 S. 3; SGB II § 16 Abs. 1 S. 2; SGG § 86b Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 27.10.2010 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, vorläufig vorbehaltlich einer anders lautenden Entscheidung in der Hauptsache die Lehrgangskosten für die am 01.09.2010 begonnene Weiterbildung der Antragstellerin zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin bei dem Bildungsträger F. - in Oldenburg, längstens für die Dauer von 24 Monaten, zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 27.10.2010, mit dem der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist. Mit dieser sollte die Antragsgegnerin verpflichtet werden, vorläufig die Kosten für die Weiterbildung der Antragstellerin zur Physiotherapeutin zu übernehmen.

Die 1972 geborene Antragstellerin stand bei der Antragsgegnerin im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Am 14.06.2010 stellte die Antragsgegnerin der Antragstellerin einen Bildungsgutschein gemäß § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 77 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) aus. Dieser bezog sich auf eine außerbetriebliche Weiterbildung zur Physiotherapeutin mit einer Weiterbildungsdauer von bis zu 24 Monaten. In dem Bildungsgutschein heißt es, es würden "die der Zulassung zugrundeliegenden vollen Lehrgangskosten" übernommen. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass die Erstattung der Lehrgangskosten an den Träger von einer Vorlage des Gutscheins vor Teilnahmebeginn abhängig sei. In einem Begleitschreiben zu dem Bildungsgutschein heißt es:

“Mit diesem Bildungsgutschein werden die Kosten für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung übernommen,

- solange Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vorliegt und

- die Weiterbildung für die Weiterbildungsförderung nach § 85 SGB III zugelassen ist.

Vergewissern Sie sich vor Beginn der Teilnahme beim Bildungsträger, ob die Teilnahme zugelassen ist. (…) Wenn die Inhalte der von Ihnen ausgewählten Weiterbildung nicht mit dem Gutschein übereinstimmen, ist die Bewilligung der Lehrgangskosten wie die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt in Frage gestellt. (…)„

Mit Datum vom 31.08.2010/06.09.2010 schloss die Antragstellerin mit dem Bildungsträger F. - einen Vertrag über eine fremdfinanzierte Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin für die Zeit vom 01.09.2010 bis 31.08.2012 sowie einen weiteren Vertrag über eine eigenfinanzierte Ausbildung für das dritte Ausbildungsjahr vom 01.09.2012 bis 31.08.2013 ab. Die Antragstellerin hat die Ausbildung am 01.09.2010 aufgenommen.

Mit dem im Hauptsacheverfahren angefochtenen Bescheid vom 15.09.2010 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass dem Antrag auf Förderung der beruflichen Weiterbildung nicht entsprochen werden könne. Die Einlösung von Bildungsgutscheinen für nicht verkürzbare Ausbildungen in allgemein anerkannten Ausbildungsberufen mit mindestens zweijähriger Dauer könne nur erfolgen, wenn die Finanzierung (Lebensunterhalt und Weiterbildungskosten) für das dritte Drittel der Maßnahme durch den Bildungsträger sichergestellt sei. Die Sicherstellung des dritten Drittels durch Eigenfinanzierung des Teilnehmers entspreche nicht der Intention des Gesetzgebers. Ferner müsse der Bildungsgutschein vor Beginn der Maßnahme bei dem Kostenträger eingereicht werden. Vorliegend sei der Bildungsgutschein nicht eingelöst worden und der Träger habe auch nicht die Finanzierung des letzten Drittels zugesichert.

Nachdem ihr dagegen erhobener Widerspruch erfolglos geblieben war (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2010), hat die Antragstellerin am 18.10.2010 bei dem SG Bremen Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung eines einstweiligen Rec...

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