Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Rechtswegbindung. Entscheidung in der Hauptsache. Anordnungsgrund bei vorhandenem Einkommen bzw Vermögen. Anordnungsanspruch. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Leistungskonkurrenz von Jugend- und Sozialhilfe. Autismusspektrumsstörung als seelische Behinderung iS des § 3 BSHG§47V. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Entscheidung in der Hauptsache iS des § 17a Abs 5 GVG liegt auch dann vor, wenn das erstinstanzliche Gericht einen Eilantrag nach § 86b Abs 2 SGG wegen nicht glaubhaft gemachter Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) abgelehnt hat.
2. Im Streit um die Kostenfreiheit einer Maßnahme der Eingliederungshilfe für ein behindertes Kind ist in gerichtlichen Eilverfahren ein Anordnungsgrund wegen der Einkommens- und Vermögenssituation der einsatzpflichtigen Personen nur dann zu verneinen, wenn diesen die Finanzierung der Maßnahme während des Hauptsacheverfahrens (Widerspruchs- bzw Klageverfahren) ohne wesentliche Einschränkungen möglich ist.
3. Eine Autismusspektrumsstörung im Sinne eines frühkindlichen Autismus ist jedenfalls dann als seelische Behinderung iS des § 3 EinglH-VO (juris: BSHG§47V) anzusehen, wenn anderweitige Schädigungen der Körperstrukturen oder -funktionen (insb mit einhergehender Intelligenzminderung) nicht bestehen.
4. Soweit eine Autismusspektrumsstörung sowohl eine seelische als auch eine geistige Behinderung iS der §§ 2, 3 EinglH-VO (juris: BSHG§47V) darstellt, kann im Einzelfall (auch) ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine ambulante Autismus-Therapie in Form der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht gemäß § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 53, 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 EinglH-VO (juris: BSHG§47V) bestehen.
5. Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule ist in aller Regel zu bejahen, solange und soweit die Schule eine entsprechende Hilfe nicht gewährt (Anschluss an BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R = BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juni 2017 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit bis zum Abschluss des beim Sozialgericht Bremen anhängigen Klageverfahrens (- S 15 SO 142/17 -), längstens jedoch bis zum Ende des Schuljahrs 2017/2018 (bis zum 27. Juni 2018), ambulante Eingliederungshilfe in Form der vorläufigen Kostenübernahme für die ambulante Autismus-Einzeltherapie durch das E. des Beigeladenen in einem Umfang von vier Stunden je Woche in der Beobachtungsphase (ca. acht Wochen) und drei Stunden je Woche in der Folgezeit zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Kostenübernahme für eine ambulante Autismus-Therapie.
Bei der im August 2008 geborenen Antragstellerin ist eine Autismusspektrumsstörung im Sinne eines frühkindlichen Autismus diagnostiziert (ICD-10 F 84.0) u.a. mit Auffälligkeiten der Kommunikation, der sozialen Interaktion und der Aufmerksamkeit bzw. Konzentration. Sie bezieht Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung (bis 2016 nach der Pflegestufe 1), lebt bei ihrer alleinerziehenden und seit 2015 verwitweten Mutter im Stadtgebiet der Antragsgegnerin und besucht dort seit dem Schuljahr 2014/2015 eine Inklusionsklasse für den Bereich Wahrnehmung und Entwicklung der Grundschule F..
Am 1. April 2015 beantragte die Antragstellerin, vertreten durch ihre Mutter, bei der Antragsgegnerin unter Vorlage des Bericht des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. med. G., H., vom 1. Februar 2015 die Übernahme der Kosten für eine Autismus-Therapie im E. des im Beschwerdeverfahren beigeladenen Einrichtungsträgers von etwa 1.650,00 € je Monat in der Anfangsphase für vier Stunden je Woche (ca. acht Wochen) und 1.250,00 € je Monat in der Folgezeit für drei Stunden je Woche aus Mitteln der Sozialhilfe (SGB XII). Im Juli und Dezember 2015 beantragte sie die entsprechenden Leistungen aus Mitteln der Jugendhilfe (SGB VIII). Nach Einholung einer Stellungnahme des Gesundheitsamts Bremen vom 8. Januar 2016 und einer sozialpädagogischen Stellungnahme des Sozialzentrums I. - Sozialdienst Junge Menschen - (im Folgenden Sozialzentrum) vom 18. August 2016, nach denen die Durchführung einer Autismus-Therapie entsprechend der fachärztlichen Empfehlung befürwortet bzw. als notwendig und erforderlich angesehen wurde, und von Unterlagen über die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Kostenübernahme nach...