Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Berufung. Nichtfeststellbarkeit des Wertes des Beschwerdegegenstandes. Erforderlichkeit einer sachdienlichen Antragstellung und substantiierten Darlegung durch den Kläger. Mutwilligkeit. Anwendbarkeit der Wertgrenzen bei isolierter Anfechtung des Widerspruchsbescheides. SGB 2-Leistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Lässt sich wegen fehlenden konkreten Vortrags des Klägers sowie wegen fehlender konkreter Klage- bzw Berufungsanträge nicht feststellen, dass die Wertgrenzen nach § 144 Abs 1 S 1 SGG überschritten sind, ist die Berufung unzulässig.
2. Für die Prüfung, ob bei einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides die Wertgrenzen nach § 144 Abs 1 S 1 SGG Anwendung finden, ist das sachliche Ziel des Klagebegehrens entscheidend. Geht es dem Rechtsmittelführer in der Sache um höhere SGB 2-Leistungen, beurteilt sich die Statthaftigkeit der Berufung nach § 144 Abs 1 S 1 und 2 SGG.
3. Jeder Kläger ist gehalten, bereits vor Abschluss der ersten Instanz sachdienliche Anträge zu stellen und substantiiert vorzutragen. Ein ohne jede Begründung gebliebener und offensichtlich allein im Hinblick auf die Statthaftigkeit einer eventuellen Berufung mutwillig geltend gemachter Anspruch bleibt bei der Berechnung des Beschwerdewerts nach § 144 Abs 1 S 1 SGG außer Betracht.
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. März 2012 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger haben erstinstanzlich mit ihrem Hauptantrag die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2009 begehrt, hilfsweise die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2006.
Die Kläger stehen bereits langjährig im Bezug von SGB II-Leistungen, u. a. in dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2006. Sie bildeten damals gemeinsam mit Frau K., der Ehefrau des Klägers zu 1) und der Mutter der Kläger zu 2) bis 4), eine Bedarfsgemeinschaft. Dieser Bedarfsgemeinschaft gewährte der Beklagte für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2006 SGB II-Leistungen in Höhe von 632,12 Euro pro Monat, davon 485,59 Euro für die Kosten der Unterkunft (KdU) einschließlich Heizung (Bescheid vom 2. Mai 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. Januar 2008).
Am 18. November 2008 stellte Rechtsanwalt (RA) L. für die Kläger sowie für Frau K. einen Antrag auf Überprüfung der Leistungsgewährung für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2006 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 2009 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2009 zurück. Zur Begründung führte er im Widerspruchsbescheid aus, dass der Widerspruch mangels Vorlage einer Original-Vollmacht unzulässig sei. Rechtsanwalt L. habe nicht die vom Beklagten ausdrücklich angeforderte Original-Vollmacht vorgelegt, sondern lediglich einen Abdruck der Vollmacht per Telefax übersandt.
Hiergegen haben die Kläger am 13. Juli 2009 Klage beim Sozialgericht (SG) Braunschweig eingelegt. Zunächst haben sie wörtlich folgenden "Teil-Klageantrag vorerst" angekündigt:
I. Unter Aufhebung des Ausgangs- des Widerspruchsbescheids wird die Beklagte unter allen gesetzlichen Voraussetzungen verurteilt, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, hilfsweise an die Beklagten höhere Leistungen auf ALG II von vorerst € …., zu zahlen.
II. Festzustellen, dass die Kosten für das Vorverfahren zu 100% zu erstatten sind und dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren notwendig war.
Gleichzeitig haben Sie einen "erneuten Rücknahme-Antrag gemäß § 44 SGB X für dieses Ausgangsverfahren unter Angabe der bisherigen Begründung" gestellt, der vom Beklagten mit Bescheid vom 25. März 2010 abgelehnt worden sein soll (vgl. hierzu Seite 3 des angefochtenen Urteils - dieser Bescheid befindet sich nicht in den Gerichtsakten). Der im vorliegenden Berufungsverfahren streitbefangene Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2006 ist zudem Streitgegenstand des weiteren von den Klägern und Frau K. vor dem erkennenden Senat geführten Berufungsverfahrens L 11 AS 536/12.
Nachdem das SG mit richterlicher Verfügung vom 10. Januar 2012 Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und den Klägern gleichzeitig unter Hinweis auf § 106a Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgegeben hatte, bis zum 1. März 2012 „im Hinblick auf den geltend gemachten rechtlichen Standpunkt alle Tatsachen und Beweismittel anzugeben und ggf. vorhandene Urkunden im Original dem Gericht vorzulegen“, hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger am Sitzungstag um 5.18 Uhr morgens einen Schriftsatz per Telefax mit u.a. folgendem Wortlaut übersandt:
Zeitraum 5-10/06