Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommens- und Vermögenseinsatz. eheähnliche Gemeinschaft. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. schwere Demenz
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft iS von §§ 20 und 43 Abs 1 SGB XII.
2. Es bestehen erhebliche Zweifel an der erforderlichen Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, wenn einer der Partner wegen schwerer Demenz zu einer Willensbildung dahingehend, für den anderen Partner Verantwortung zu übernehmen und einzustehen, nicht in der Lage ist.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 22. Oktober 2019 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 16.9.2019 bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren S 33 SO 75/19, längstens bis zum 30.6.2020, zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig weiterhin Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII zu bewilligen. Streitig ist, ob zwischen dem Antragsteller und der mit ihm in einer Wohnung lebenden Frau C. D. eine eheähnliche Lebensgemeinschaft besteht.
Der 1943 geborene Antragsteller und die 1955 geborene Frau D. lebten von 1986 bis in die späten 1990er Jahre in eheähnlicher Lebensgemeinschaft zusammen. Aus der Beziehung gingen vier im Zeitraum von 1988 bis 1993 geborene gemeinsame Kinder hervor. Frau D. hat zudem aus ihrer Ehe zwei Söhne (geb. 1979 bzw. 1982). Nach Angaben des Antragstellers zog Frau D. 1998 ohne den ältesten Sohn mit fünf der Kinder von E. - wo sie und der Antragsteller zuletzt bereits getrennt gewirtschaftet hätten - nach F. um. Der Antragsteller zog 1999 in denselben Ort und bewohnte dort bis Anfang Juni 2018 eine knapp 30 qm große 1-Zimmer-Wohnung. Er hatte weiter guten Kontakt und Umgang mit den Kindern. Frau D. hatte wechselnde Beziehungen und zog mehrfach in F. um, bevor sie zu einem Lebensgefährten nach G. zog. Im Jahr 2012 kehrte sie erstmals wegen Problemen mit dem Lebensgefährten in G. nach F. zurück, wo sie zwei Monate bei dem Antragsteller wohnte. Obwohl dieser ihr eine Wohnung besorgte, ging sie auf Drängen ihres damaligen Lebensgefährten wieder zu ihm nach G.. Nachdem diese Beziehung endgültig gescheitert war, stand Frau D. - so der Antragsteller - im Oktober 2014 wieder „fix und fertig“ vor der Haustür des Antragstellers. Er nahm sie auf und sie wohnte in der Folgezeit bei ihm, wobei die Tochter H. sie jeweils über zwei Wochenenden im Monat zu sich nach I. holte. Nach dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II bezog der Antragsteller ab Juni 2008 eine geringe Regelaltersrente und ergänzende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII vom Antragsgegner. Nachdem der Antragsteller dem Antragsgegner die Anmietung einer Wohnung für eine 3er - WG mit Frau D. als Haupt- sowie ihm und einer Frau J. als Untermieter angekündigt hatte und der Antragsgegner mündlich zugestimmt hatte, schloss Frau D. - vertreten durch den Antragsteller als rechtlichen Betreuer - am 11.4.2018 einen Mietvertrag über eine ca. 143 qm große 5-Zimmer-Wohnung für eine Warmmiete von 820,00 € in F.. Das Mietverhältnis begann am 1.6.2018. Am 23.4.2018 schlossen Frau D., die den Vertrag selbst unterzeichnete, und der Antragsteller einen Untermietvertrag über einen 19 qm großen Wohnraum mit anteiliger (1/3) Nutzung der gemeinschaftlich genutzten Räume für einen pauschalen Warmmietzins von 270,00 €, ebenfalls beginnend am 1.6.2018. Ein entsprechender Untermietvertrag wurde mit Frau J. geschlossen. Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheiden vom 31.5.2018 für die Monate Mai und Juni 2018 und vom 1.6.2018, geändert durch Bescheid vom 26.2.2019, für den Zeitraum vom 1.7.2018 bis zum 30.6.2019 Grundsicherungsleistungen in Höhe von zuletzt (Juni 2019) 741,53 € unter Berücksichtigung der pauschalen Untermietkosten von 270,00 €.
Mit MDK-Gutachten vom 27.12.2018 wurde eine Pflegebedürftigkeit der Frau D. nach dem Pflegegrad 3 festgestellt. Es bestehe eine weit fortgeschrittene Demenz mit erheblichen kognitiven Einschränkungen zur eigenen Person, zu Personen im direkten Umfeld sowie zur zeitlichen, örtlichen und situativen Orientierung. Steuern von Handlungsabläufen, Verstehen von Sachverhalten, Treffen von Entscheidungen, Mitteilung von Bedürfnissen und Beteiligung an einem Gespräch seien ihr nicht mehr möglich.
Im Rahmen des durch den Weitergewährungsantrag des Antragstellers vom 2.5.2019 für die Zeit ab 1.7.2019 eingeleiteten Verfahrens legte der Antragsteller seinen am 2.11.2018 ausgestellten Betreuerausweis und ein Schreiben vom 2.2.2019, mit dem er und Frau D. das Untermietverhältnis mit Frau J. - die Frau D. mehrfach b...