Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. keine Möglichkeit der vorläufigen Zahlungseinstellung. sozialgerichtliches Verfahren. Anordnung der sofortigen Vollziehung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine vorläufige Zahlungseinstellung ist im Rechtsgebiet des SGB 12 nicht möglich. Eine entsprechende Regelung wie in § 40 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 (Verweis auf § 331 SGB 3) fehlt im SGB 12.

2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs 2 Nr 5 SGG hat Wirkung nur für die Zukunft.

3. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs 2 Nr 5 SGG erfordert ein besonderes Vollzugsinteresse, das über jenes hinausgeht, welches den Verwaltungsakt an sich rechtfertigt. Die Begründung allein mit fiskalischen Interessen genügt grundsätzlich nicht.

 

Orientierungssatz

Die Möglichkeit der Aufhebung der Vollziehungsanordnung ist als mindere Maßnahme in dem Begehren enthalten, die aufschiebende Wirkung gem § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG anzuordnen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 26. Juni 2006 aufgehoben.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2006 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dieses Rechtsstreits zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Stade vom 26. Juni 2006 ist begründet. Das SG hat dem auslegungsbedürftigen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes des Antragstellers vom 9. Mai 2006 zu Unrecht nicht stattgegeben. Der Beschluss des SG war daher aufzuheben und dem Begehren des Antragstellers wie aus dem Tenor ersichtlich stattzugeben.

Der im Juli 1953 geborene Antragsteller ist verheiratet. Er besitzt einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Merkzeichen “G„. er bezieht von der LVA C. eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, zurzeit in monatlicher Höhe von 338,91 €. Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller Leistungen gemäß § 41 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung -, zuletzt mit Bescheid vom 25. November 2005 für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2006 in monatlicher Höhe von 266,86 €.

Nachdem der Antragsgegner davon erfuhr, dass der Antragsteller seit dem 15. November 2004 in Strafhaft in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) einsitzt, stellte er die Sozialhilfezahlungen vorläufig ab April 2006 ein und erließ einen Aufhebungs- und Leistungsbescheid vom 14. Juni 2006, mit dem die Bewilligung der Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab 1. Mai 2005 bis 31. Dezember 2006 aufgehoben wurde. Wegen der Strafhaft benötige der Antragsteller keine Grundsicherungsleistungen. Weiterhin wurde ein Erstattungsbetrag von 3.059,49 € gefordert. Hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung ordnete der Antragsgegner für die Zeit ab 1. April 2006 im besonderen öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 86a Abs 2 Nr. 5 SGG an. Dies liege im fiskalischen Interesse der Allgemeinheit an der sparsamen Verwendung von Geldern. Der Antragsteller hat am 7. Juli 2006 gegen den Bescheid vom 14. Juni 2006 Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass er bei der Antragstellung in Begleitung seiner Ehefrau und seines Sohnes seine Ladung zum Straf-/ Haftantritt vorgelegt habe. Ihm sei bedeutet worden, dass der Haftantritt für die Leistung nicht von Belang sei. Der Widerspruch ist bislang nicht beschieden.

Der Antragsteller hatte bereits am 9. Mai 2006 beim Verwaltungsgericht D. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, mit welchem er die Weiterzahlung der Grundsicherungsleistungen erreichen wollte. Nach Verweisung dieses Rechtsstreits an das SG Stade mit Beschluss vom 19. Mai 2006 hat das SG den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 26. Juni 2006 abgelehnt. Der vorläufige Rechtsschutz richte sich nach § 86b Abs 2 SGG. Den dafür erforderlichen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der vom SG nicht abgeholfen worden ist.

Der vom Antragsteller begehrte vorläufige Rechtsschutz richtet sich nicht nach § 86b Abs 2 SGG , sondern nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, also auch in einem Fall des § 86a Abs 2 Nr. 5 SGG, wie er hier nach Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 14. Juni 2006 vorliegt. Der vom SG angewandte vorläufige Rechtsschutz nach § 86b Abs 2 SGG wäre zutreffend gewesen, wenn der Antragsgegner es bei der vorläufigen Zahlungseinstellung belassen hätte, die allerdings - ohne Aufhebung der Bewilligung - rechtswidrig war.

Der Bewilligungsbescheid vom 25. November ...

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