Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Beweissicherungsverfahren. Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen bei Anhängigkeit eines Hauptsacheverfahrens mit gleichgerichtetem Rechtsschutzziel. Beschwerde gegen Ablehnung der Beweiserhebung. Zulässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs 1 SGG für die Einleitung eines Beweissicherungsverfahrens bedürfen einer besonders sorgfältigen Prüfung, wenn bereits ein Hauptsacheverfahren mit gleichgerichtetem Rechtsschutzziel anhängig ist.

 

Orientierungssatz

Die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss einer Beweiserhebung im Beweissicherungsverfahren ist zulässig.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die vom Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Ablehnung seines Antrages, ein psychiatrisches Gutachten zur Frage seiner Erwerbsfähigkeit im Beweissicherungsverfahren nach § 76 SGG einzuholen.

Im Hauptsacheverfahren begehrt der 1972 geborene Kläger mit der am 12. März 2019 erhobenen Klage S 1 R 70/19 die Weitergewährung einer (ihm zunächst bis Februar 2018 befristet zuerkannten) Erwerbsminderungsrente, nachdem die Beklagte den entsprechenden Weitergewährungsantrag des Klägers nach Einholung insbesondere eines ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejahenden nervenärztlichen Gutachtens des Facharztes Dr. G. vom 16. Juli 2018 (Bl. 64 ff. med. VV) mit Bescheid vom 12. Januar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2019 abgelehnt hat. Ein Antrag des Klägers, die Beklagte vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente zu verpflichten, hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg (vgl. Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. April 2019 - S 1 R 119/19 ER und Beschluss des 1. Senats des Landessozialgerichts vom 28. Juni 2019 - L 1 R 161/19 B ER -).

Parallel zu dem Hauptsache- und zum Eilverfahren hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. April 2019 ein Beweissicherungsverfahren nach § 76 Abs. 1 SGG eingeleitet, in dem er die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Feststellung seines gegenwärtigen Gesundheitszustandes beantragt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. August 2019 hat das Sozialgericht diesen Antrag abgelehnt. Eine Gefährdung einer späteren Beweisaufnahme, wie sie der Tatbestand des § 76 Abs. 1 SGG verlange, bestehe nicht. Es sei nicht erkennbar, weshalb der Gesundheitszustand des Klägers einer Abklärung im Rahmen der üblichen sozialgerichtlichen Ermittlungen, welche auch die Durchführung einer psychiatrischen Begutachtung einschließen könnten, nicht sachgerecht beurteilt werden könne.

Mit der am 20. August 2019 eingelegten Beschwerde begehrt der Kläger weiterhin die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens im Beweissicherungsverfahren nach § 76 SGG zur Abklärung der Beweisfrage, ob er noch mindestens drei (hilfsweise sechs) Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte sowie der Gerichtsakte S 1 R 70/19 und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte (mit Ausnahme der Urteile) findet nach § 172 SGG die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht im Gesetz anderes bestimmt ist. Nicht mit der Beschwerde angefochten werden können allerdings nach § 172 Abs. 2 - im Interesse der Prozessbeschleunigung (Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 5. Aufl., § 172 Rn. 10) - sozialgerichtliche Beschlüsse „über Ablehnung von Beweisanträgen“. Die Ablehnung einer Beweiserhebung im Beweissicherungsverfahren nach § 76 SGG beinhaltet in der Sache ebenfalls die Ablehnung eines Beweisantrages (in Form des Beweissicherungsantrages).

Sofern wie im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt neben dem Beweissicherungsverfahren bereits ein Hauptsacheverfahren mit gleicher Zielrichtung anhängig ist, würde ein Ausschluss der Beschwerde gegen die Ablehnung einer Beweiserhebung in diesem Beweissicherungsverfahren letztlich in vergleichbarer Weise wie der Ausschluss der Beschwerde gegen eine Ablehnung von Beweisanträgen im Hauptsacheverfahren zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Ohnehin können selbstständige neben einem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren betriebene Beweissicherungsverfahren die vom Gesetzgeber angestrebte Verfahrensbeschleunigung beeinträchtigen. Schon der Umstand, dass mehrere Verfahren nebeneinander zur Erreichung letztlich desselben Ziels geführt werden, bindet Rechtsprechungsressourcen und kann damit zu einer Mehrbelastung der Justiz mit den daraus resultierenden Gefahren im Sinne einer Verzögerung anderer anhängiger Verfahren führen (vgl. OLG München, B.v. 29. Juli 2011 - 10 W 1226/11 - juris mwN). Überdies ist mit der Führung mehrerer parallel betriebener im Ergebnis auf dasselbe Re...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?