Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beweissicherungsverfahren. berechtigtes Interesse. umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Vorliegen bei Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch die Behörde. Beschwerde gegen Ablehnung der Beweissicherung. Zulässigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist über die Frage eines berechtigten Interesses an der Feststellung des gegenwärtigen Zustandes einer Sache oder einer Person nach einer umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, wobei die Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens zu beachten sind.
2. Allein die Möglichkeit eines vom Antragsteller geltend gemachten Anspruchs in der Sache kann ein Interesse auf eine Beweissicherung nach § 76 SGG nur ausnahmsweise begründen, etwa wenn die zuständige Behörde ihren Pflichten zur Amtsermittlung nicht nachkommt.
3. Die Beschwerde gegen die Ablehnung eines Beweissicherungsantrages durch ein Sozialgericht ist gemäß § 172 SGG zulässig.
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 19.08.2019 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der Beweissicherung gemäß § 76 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.
Der Antragsteller erlitt am 13.11.2013 bei seiner Tätigkeit als Bäcker an einer Maschine einen Arbeitsunfall mit Verletzungen der rechten Hand. Diese wurden operativ und in der Folge durch Krankengymnastik und Physiotherapie behandelt.
Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller nach Einholung medizinischer Gutachten durch Bescheid vom 16.09.2016 ab November 2014 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 %. Als Unfallfolgen stellte sie fest: „Teilamputation des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand mit plastischer Deckung der Fingerkuppe des Mittelfingers, Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit und Beweglichkeit der rechten Hand mit Beuge- und Streckminderung des Zeige- und Mittelfingers, Schwellung des rechten Zeige- und Mittelfingers, herabgesetzte Empfindsamkeit im Bereich des rechten Zeige- und Mittelfingers mit Behinderung der Feinmotorik, Missempfindungen im Bereich der rechtsseitigen Hohlhand, Kraft- und Muskelminderung der rechten Hand sowie eine herabgesetzte Durchblutung des rechten Zeige- und Mittelfingers“.
Zur Rentennachprüfung wurden im August 2017 ein neurologisches Gutachten sowie im Oktober 2017 ein chirurgisches Gutachten eingeholt. Die MdE wurde darin weiterhin mit 20 % eingeschätzt. Im chirurgischen Gutachten wurde die Fortsetzung der physiotherapeutischen Übungsbehandlung sowie Lymphdrainage als sinnvoll beschrieben. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller dementsprechend auf, dafür Sorge zu tragen und sich regelmäßig beim Durchgangsarzt vorzustellen. Der Durchgangsarzt Dr. K... rezeptierte in der Folge regelmäßig Krankengymnastik und Lymphdrainage.
Nachdem dieser in einem Verlaufsbericht vom 08.01.2019 eine etwas gebesserte Fingerbeweglichkeit erwähnte, bat die Antragsgegnerin ihn mit Schreiben vom 16.01.2019, den Antragsteller dazu anzuhalten, erlernte Übungsbehandlungen nunmehr in Eigenregie durchzuführen. Sofern hierfür eine nochmalige Serie Physiotherapie benötigt würde, könne er sie verordnen. Wenn er eine physikalische Therapie als notwendige Dauerbehandlung ansehe, werde um eine ausführliche Stellungnahme zur Vorlage beim beratenden Arzt gebeten.
In einem Antwortschreiben schloss sich Dr. K... hinsichtlich der fehlenden Notwendigkeit weiterer Krankengymnastik prinzipiell der Auffassung der Antragsgegnerin an, empfahl allerdings, dazu eine Heilverfahrenskontrolle durchzuführen. Die Antragsgegnerin veranlasste daraufhin eine konsiliarärztliche Untersuchung bei Prof. Dr. M... Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie des Klinikums S.... Dieser vertrat nach einer Untersuchung des Antragstellers am 05.03.2019 die Ansicht, eine dauerhafte Krankengymnastik sei nicht mehr erforderlich. Insoweit könne nur von einer befunderhaltenden Therapie gesprochen werden. Da bereits seit über fünf Jahren eine physiotherapeutische Beübung stattfinde, sei davon auszugehen, dass der Antragsteller diese auch in Eigenregie durchführen könne. Durch die Lymphdrainage sei keine Befundverbesserung zu erwarten; bei einer isolierten Verletzung der Finger sei eine solche als Dauerbehandlung nicht indiziert (Bericht vom 20.03.2019).
In einem Telefonat am 27.03.2019 beklagte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin eine nicht hinreichende Untersuchung durch Prof. Dr. M.... Mit Schreiben vom 03.04.2019 übersandte die Antragsgegnerin ihm den Bericht des Prof. Dr. M.... Sie wies ihn daraufhin, dass er, sofern er mit der fachärztlichen Einschätzung nicht einverstanden sei, unter Vorlage einer anderslautenden Stellungnahme eines Facharztes eine neuerliche Prüfung und den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheids verlang...