Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Zweipersonenhaushalt in Göttingen. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts aufgrund der Einbeziehung umliegender Gemeinden in den räumlichen Vergleichsbereich. Erhöhung der Wohnflächengrenze aufgrund temporärer Bedarfsgemeinschaft mit einem getrennt lebenden Kind. verfassungskonforme Auslegung. Ausübung des Sorge- und Umgangsrechts. Einkommen. Tatsächlicher Zufluss eines Unterhaltsvorschusses
Leitsatz (amtlich)
Zu dem vom Antragsgegner vorgelegten schlüssigen Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft im Landkreis Göttingen, Endbericht Stand März 2013; hier: Stadt Göttingen.
Orientierungssatz
Unter verfassungskonformer Auslegung kann bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten iS des § 22 SGB 2 für einen Elternteil ein erhöhter Unterkunfts- bzw Raumbedarf zur Gewährleistung der Ausübung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind anzuerkennen sein.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 22b Abs. 3 S. 2 Nr. 2, § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nrn. 1, 4, § 11 Abs. 1; WoGG § 12; UVG § 1 Abs. 1; GG Art. 6; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Mai 2014 wird geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 1. April 2014 bis 31. Oktober 2014 (höchstens jedoch bis zum Abschluss der Hauptsacheverfahren) vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen nach dem SGB II in Höhe von
- 1195,46 € für den Monat April 2014,
- jeweils 1056,26 € für die Monate Mai, Juni und September 2014
- 1073,66 € für den Monat Juli 2014
- 1299,86 € für den Monat August 2014 und
- 1125,86 € für den Monat Oktober 2014
nach Maßgabe der Entscheidungsgründe und unter Anrechnung der bereits bewilligten Leistungen zu gewähren.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern 4/5 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Der im August 1961 geborene Antragsteller zu 1) ist der Vater des im Juni 2006 geborenen Antragstellers zu 2) und der im April 2008 geborenen Antragstellerin zu 3). Die Kinder leben jeweils bei ihren Müttern. Der Antragsteller nimmt sein Umgangsrecht mit den Kindern 14-tägig von Freitag nach dem Kindergarten bzw. nach der Schule bis Montagabend wahr. An den Wochenenden, die keine Umgangswochenenden sind, findet der Kontakt montags in den Nachmittagsstunden statt. Sonderregelungen gibt es für Ferien und Feiertage. Im Jahr 2014 verbringen die Kinder u.a. jeweils die erste Hälfte der Oster-, Sommer- und Herbstferien bei dem Antragsteller zu 1) (vgl Beschlüsse des Oberlandesgerichts G. vom 23. Januar 2012 - H. und I., abgeändert durch Beschlüsse des Amtsgerichts Göttingen 18. Juli 2012 - J. und vom 26. Juli 2012 - K.).
Der Antragsteller zu 1) bewohnt eine 59,90 qm große Wohnung in der L. 1 in M. N.. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 599,00 € (Kaltmiete: 449,00 € zuzüglich 150,00 € für Betriebs- und Heizkosten). Der Antragsgegner wies den Antragsteller zu 1) mit Schreiben vom 1. November 2013 auf die Unangemessenheit seiner Unterkunftskosten hin. Statt der bisher berücksichtigten Unterkunftskosten von 507,65 € (599,00 € abzüglich Heizkosten 82,36 € und Kostenanteil Warmwasser 8,99 €) seien lediglich Kosten in Höhe von 381,00 € (Bruttokaltmiete) für einen 2-Personenhaushalt angemessen. Mit Schreiben vom 11. März 2014 informierte er den Antragsteller zu 1), dass er beabsichtige, ab 1. Mai 2014 nur noch die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 381,00 € zu berücksichtigen.
Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern zuletzt mit Änderungsbescheid vom 21. Januar 2014 Leistungen für den Monat April 2014. Dabei berücksichtigte er angemessene Unterkunftskosten in Höhe von 435,00 € (Kaltmiete und Betriebskosten) zuzüglich Heizkosten in Höhe von 82,36 € und Kostenanteil Warmwasser in Höhe von 8,99 €. Auf den Bedarf der Antragsteller zu 2) und 3) (Regelbedarf in Höhe von 261,00 € / 30 Tage x Anzahl Aufenthaltstage über 12 Stunden) rechnete der Antragsgegner Einkommen aus Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) an (180,00 € / 30 Tage x Anzahl der Aufenthaltstage über 12 Stunden).
Hiergegen legte der Antragsteller zu 1) mit Schreiben vom 21. Februar 2014 Widerspruch ein und wandte sich gegen die Berücksichtigung von UVG-Leistungen als Einkommen bei den Antragstellern zu 2) und 3).
Mit Bescheid vom 28. April 2014 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis 31. Oktober 2014. Nunmehr berücksichtige er Unterkunftskosten in Höhe von 380,80 € (Kaltmiete und Betriebskosten) und Heizkosten in Höhe von 82,36 € zuzüglich Kostenanteil Warmwasser in Höhe von 8,99 €. Die Anrechnung von UVG-Leistungen erfolgt...