Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Absetzung von Fahrkosten für Familienheimfahrten. keine Anrechnung von Pflegegeld. keine Anwendung des Reisekostenrechts

 

Leitsatz (amtlich)

Auf Absetzbeträge gem § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB 2 für Familienheimfahrten, die ein Hilfebedürftiger für die Pflege einer nahen Angehörigen - hier der Ehefrau - unternimmt, ist das der Angehörigen nach § 37 SGB 11 gewährte Pflegegeld nicht anzurechnen.

 

Orientierungssatz

1. Bei einem weit vom Wohnort befristet beschäftigten Arbeitsuchenden, der seine pflegebedürftige Ehefrau pflegt, sind bis zu vier Familienheimfahrten im Monat als mit der Erzielung des Einkommens notwendige Ausgaben zu berücksichtigen.

2. Im Rahmen des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB 2 ist bei der Berechnung der vom Einkommen absetzungsfähigen Reisekosten für Familienheimfahrten nicht das Reisekostenrecht gem § 5 Abs 1 BRKG 2005, sondern § 6 Abs 1 Nr 2 Buchst b AlgIIV 2008 zu Grunde zu legen. Zwischen dem Wohnort und dem zweiten Wohnsitz ist die einfache Entfernung, nicht aber die gesamte zurückgelegte Kilometerzahl der Hin- und Rückfahrt zu berücksichtigen. Die Vorschrift verwendet den Rechtsbegriff des Entfernungskilometers, stellt also nur auf die einfache Fahrt ab (vgl LSG Celle-Bremen vom 14.2.2007 - L 9 AS 37/07 ER, vom 21.2.2007 - L 9 AS 67/07 ER und vom 20.12.2006 - L 13 AS 31/06 ER - jeweils zu der mit § 6 Abs 1 Nr 2 Buchst b AlgIIV 2008 wortgleichen Vorgängerregelung des § 3 Abs 1 Nr 3 Buchst b AlgIIV aF).

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

3. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller hat der Antragsgegner zur Hälfte zu erstatten.

 

Gründe

1. Die zulässige, insbesondere in der Frist des § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Beschwerde des Antragsgegners, mit der sich dieser dagegen wendet, dass das Sozialgericht (SG) Oldenburg mit dem angefochtenen Beschluss vom 10. Juli 2009 im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ihn - den Antragsgegner - verpflichtet hat, an die Antragsteller unter Berücksichtigung eines Absetzbetrages für Kosten einer dritten und vierten Familienheimfahrt im Monat sowie eines weiteren Absetzbetrages für einen Mehraufwand wegen doppelter Haushaltsführung weitere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) i. H. v. monatlich 159,60 € zu gewähren, ist als unbegründet zurückzuweisen. Denn das SG Oldenburg hat nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens zu Recht den Antragsgegner (vorläufig) verpflichtet, bei den Antragstellern ab 1. Juli 2009 (längstens bis zum 31. Dezember 2009) einen Absetzbetrag für vier Familienheimfahrten im Monat i. H. v. 123,60 € sowie einen zusätzlichen Absetzbetrag i. H. v. 36,00 € für einen Mehraufwand wegen doppelter Haushaltsführung anzuerkennen und den Antragstellern damit um 159,60 € höhere SGB II-Leistungen zu gewähren.

1.1 Der Senat ist für die in diesem Eilverfahren zu treffende Entscheidung mit dem SG Oldenburg der Auffassung, dass als notwendige Ausgaben i. S. des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II zu Gunsten der Antragsteller bei der Berechnung der ihn zustehenden SGB II-Leistungen Kosten für vier - und nicht nur für zwei - Familienheimfahrten zu berücksichtigen sind.

1.1.1 Da der Antragsteller bei der Reha-Klinik H. in I. lediglich eine auf den 9. März 2011 befristete Beschäftigung als Physiotherapeut hat finden können und da den Antragstellern aufgrund der schweren Erkrankung der Antragstellerin auch für die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses ein Umzug von J., Landkreis K. in das rd. 300 km entfernte I. auf der Halbinsel L., Kreis H. nicht zumutbar ist, hat auch der Senat keinen Zweifel daran, dass die von dem Antragsteller geltend gemachten Familienheimfahrten (zur Pflege seiner pflegebedürftigen Ehefrau, der Antragstellerin) als mit der Erzielung des Einkommens als Physiotherapeut notwendige Ausgaben sind. Der Senat teilt auch die Einschätzung des SG Oldenburg in dem angefochtenen Beschluss vom 10. Juli 2009, dass mit Rücksicht auf die bei den Antragstellern vorliegenden besonderen Umstände die Kosten von vier und nicht nur von zwei - wie der Antragsgegner meint - Familienheimfahrten als notwendige Ausgaben i. S. des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II anzuerkennen sind. Das Gesetz (und auch die zur weiteren Konkretisierung der gesetzlichen Vorschriften des SGB II erlassene untergesetzliche Norm, die Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) (vom 17. Dezember 2007, BGBl. I S. 2942, geändert durch Verordnung vom 18. Dezember 2008, BGBl. I S. 2780 - Alg II-V -), enthält keinerlei Regelung dazu, wie viele Familienheimfahrten bei einem vom Wohnort (weit) entfernt arbeitenden Hil...

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