Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. rechtliche Zulässigkeit einer Gemeinschaftspraxis. Auslegung des Begriffs "in freier Praxis". - Übertragung eines Vertragsarztsitzes an Arzt mit angestelltenähnlicher Beteiligung. Verkehrswert
Orientierungssatz
1. Die rechtliche Zulässigkeit einer Gemeinschaftspraxis setzt keine Gleichberechtigung in dem Sinne voraus, dass vertraglich gleiche Rechte und Pflichten der Teilhaber in Berufsausübung und Praxisführung vereinbart sind.
2. Die Regelung des § 32 Abs 1 S 1 Ärzte-ZV enthält hinsichtlich der normativen Vorgabe einer Tätigkeitsausübung in "freier" Praxis keinen klaren Bedeutungsinhalt.
3. Die Auslegung des Begriffs "in freier Praxis" iS des Gebotes an die Partner einer Gemeinschaftspraxis, ihre vertraglichen Beziehungen derart auszugestalten, dass bei einer Gesamtschau der vertraglichen Vereinbarungen eine "Gleichwertigkeit" der Partner zum Ausdruck kommt, greift ohne hinreichenden Rechtfertigungsgrund in die Berufsfreiheit der Vertragsärzte nach Art 12 Abs 1 GG ein.
4. Paragraph 32 Abs 1 S 1 Ärzte-ZV ist verfassungskonform dahingehend zu interpretieren, dass eine angestelltenähnliche Beteiligung an einer Gemeinschaftspraxis durch diese Norm nicht untersagt wird.
5. Die Missachtung einer vom Vertragsarzt zu beachtenden rechtlichen Vorgabe führt nur dann zu einem Verlust seines Honoraranspruchs, wenn bei Würdigung des konkreten Einzelfalles die betroffene Rechtsnorm die Existenz des ärztlichen Honoraranspruchs von ihrer Befolgung abhängig macht.
6. Bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Beurteilung der Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, die Zulässigkeit einer Übertragung eines Vertragsarztsitzes durch einen Arzt mit anstellungsähnlicher Beteiligung an einer Gemeinschaftspraxis im Rahmen von § 103 Abs 4 und 6 SGB 5 zu bejahen.
7. Ist der ausscheidende Vertragsarzt weder am Gewinn noch am Vermögen der Gemeinschaftspraxis und damit auch nicht an dem sogenannten Goodwill beteiligt, weist der Vertragsarztsitz als solcher keinen vom Übernehmer abzugeltenden Verkehrswert auf.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 10. April 2002 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. November 2001 wird insgesamt angeordnet.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen Kosten des Antragstellers aus beiden Instanzen des vorliegenden Eilverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 228.181,26 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Rückforderung von Honorar in Höhe von ”1.785.135,03 DM/880.578,27 €”.
Der Antragsteller ist als Radiologe zur vertragsärztlichen Versorgung in Soltau zugelassen. Bis zum 30. September 1996 führte er mit dem Radiologen Dr. F. eine Gemeinschaftspraxis. Zum 01. Oktober 1996 gab Dr. F. seine Zulassung zurück. Um den Vertragsarztsitz bewarb sich der Facharzt für diagnostische Radiologie Dr. G., der mit Beschluss des Zulassungsausschusses Verden vom 01. Oktober 1996 zur vertragsärztlichen Versorgung in Soltau zugelassen wurde. Des weiteren genehmigte der Zulassungsausschuss mit Wirkung vom 01. Oktober 1996 die Führung einer Gemeinschaftspraxis bestehend aus dem Antragsteller und Dr. G..
Die Genehmigung zur Führung einer Gemeinschaftspraxis ist zudem in Verden den Radiologen Dres. H. erteilt worden. Des weiteren hat die Antragsgegnerin eine Zweigpraxisgenehmigung zur Durchführung kernspintomografischer Leistungen für den Standort I. für die Gemeinschaftspraxis Dres. J. in Kooperation u.a. mit der aus dem Antragsteller und Dr. G. bestehenden Gemeinschaftspraxis erteilt.
Die aus dem Antragsteller und Dr. G. bestehende Gemeinschaftspraxis verfügte neben den eigentlichen in einem Ärztehaus gelegenen Praxisräumen, die im Eigentum der Ehefrau des Antragstellers stehen, über einen ausgelagerten Praxisteil im Kreiskrankenhaus K., in dem computertomografische Leistungen erbracht werden. Insbesondere das MRT-Gerät am Krankenhaus in I. steht im gemeinschaftlichen Eigentum des Antragstellers und der Radiologen Dres. H..
Dr. G. nahm seine vertragsärztliche Tätigkeit in K. am 01. Oktober 1996 auf. Zu Grunde lag ein ”Kooperationsvertrag”, den Dr. G. - im Vertrag ”Mitarbeiter” genannt - mit der ”Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. L.” (vertreten durch den Antragsteller als geschäftsführenden Gesellschafter) - im Vertrag ”Praxisinhaber” genannt - am 30. Juli 1996 abgeschlossen hatte.
In der Präambel des Vertrages hieß es u.a.:
”Die Praxisinhaber und der freie Mitarbeiter wollen auf Grund dieses Vertrages als frei praktizierende Vertragsärzte kollegial zusammen arbeiten....
Gem. §§ 705 ff. BGB liegt faktisch eine BGB-Gesellschaft vor. Der Mitarbeiter ist jedoch nicht Mitunternehmer an der Betriebsstätte (Anlagevermögen und ideeller Praxiswert) der Praxisinhaber, die nach dem Steuerrecht für das Finanzamt eine Einzel...