Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarrückforderung gegenüber Gemeinschaftspraxis bei Gestaltungsmissbrauch. Voraussetzungen für ordnungsgemäße Leistungsabrechnung. Indiz für verdecktes Angestelltenverhältnis. Haftung der ehemaligen Gesellschafter als Gesamtschuldner
Leitsatz (amtlich)
1. Die KV ist im Falle eines Gestaltungsmissbrauchs einer nach außen hin mit Genehmigung des Zulassungsausschusses betriebenen Gemeinschaftspraxis berechtigt, die Honorarabrechnungen im Rahmen der sachlich-rechnerischen Berichtigung zu korrigieren und überzahltes Honorar zurückzufordern. Der rückwirkend nicht mehr abänderbare, gleichwohl der Sache nach nicht gerechtfertigte Status der Gemeinschaftspraxis, schließt eine sachlich-rechnerische Berichtigung nicht aus.
2. Eine ordnungsgemäße Abrechnung von Leistungen einer Gemeinschaftspraxis setzt neben der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis unabdingbar voraus, dass jedes Mitglied der Gemeinschaftspraxis seine vertragsärztliche Tätigkeit selbstständig und nicht in abhängiger Beschäftigung ausübt.
3. Ein wesentliches Indiz für ein verdecktes Angestelltenverhältnis ist es, wenn ein Mitglied der formal bestehenden Gemeinschaftspraxis weder am Betriebsvermögen noch am Gewinn beteiligt und auch von der gesellschaftlichen Willensbildung und Geschäftsführung ausgeschlossen ist.
4. Die KV hat die Wahl, ob sie Honorarrückforderungen gegen die frühere Gemeinschaftspraxis richtet oder einen oder alle ehemaligen Gesellschafter in ihrer Eigenschaft als Gesamtschuldner aus ihrem persönlichen Vermögen in Anspruch nimmt.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. Oktober 2004 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges trägt der Kläger. Die Kosten des zweiten Rechtszuges tragen der Kläger und die Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 880.578,27 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung vertragsärztlichen Honorars für die Quartale IV/1996 bis I/2001 im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Berichtigung wegen vermeintlich falscher Angaben über die gesellschaftsrechtliche Beteiligung an einer Gemeinschaftspraxis.
Der Kläger war bis zum 30. Juni 2004 als Radiologe zur vertragsärztlichen Versorgung in H. zugelassen. Der dortige Planungsbereich Soltau-Fallingbostel war für Radiologen wegen Überversorgung gesperrt. Bis zum 30. September 1996 führte der Kläger eine Gemeinschaftspraxis mit Dr. I., der seine Zulassung zum 30. September 1996 zurückgab.
Unter dem 17. Juli 1996 schloss der Kläger mit den Fachärzten für Radiologie Dres. J. und K. einen “Gesellschaftsvertrag über die Errichtung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis„. In Ziffer 1 b der Präambel dieses Vertrages war geregelt, dass Dr. L. nach seinem Ausscheiden aus der mit dem Kläger geführten Gemeinschaftspraxis gemäß einem separaten Vertrag seine Geschäftsanteile zu je 1/2 an Dres. J. und K. verkauft, die an seiner Stelle in die Gemeinschaftspraxis eintreten. Gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a aa verbanden sich die Partner des Vertrags zu inhaltlich und wirtschaftlich gemeinsamer Ausübung vertrags- und privatärztlicher Tätigkeit, “(unabhängig vom Erscheinungsbild nach außen)„. Zum Hauptsitz der Gemeinschaftspraxis wurde H. bestimmt; weitere Praxisteile sollten in M. und im Krankenhaus N. betrieben werden (Präambel Ziffer 2 a, § 12). An Gewinn und Verlust sowie am Anlagevermögen war der Kläger zu 50 %, die anderen beiden Ärzte zu jeweils 25 % beteiligt, wobei für die eigentliche Tätigkeitsvergütung gesonderte Regelungen vorgesehen waren (§§ 13, 25). Zum geschäftsführenden Gesellschafter wurde der Kläger bestimmt (§ 38 Abs. 5 Buchst. e). Im Gesellschafterbeschluss vom 17. Juli 1996 wurde die Aufnahme eines weiteren Partners - voraussichtlich der (zu 2 beigeladene) Radiologe Dr. O., vgl. Ziffer 16 a des Beschlusses - vereinbart. Der vierte Partner sollte sich “KV-rechtlich im Außenverhältnis ab 01.10. niederlassen, und zwar offiziell in Gemeinschaftspraxis mit Dr. P.„ (Ziffer 18 a); mit ihm sollte ein “Probejahr (freie Mitarbeit) vereinbart werden„ (Ziffer 18 b).
Unter dem 30. Juli 1996 schlossen die Gemeinschaftspraxis Dres. P., J. und K. sowie der Beigeladene zu 2. einen sog. Kooperationsvertrag.
In der Präambel des Vertrages heißt es u. a. :
"(1) a) aa) Die Praxisinhaber und der freie Mitarbeiter wollen aufgrund dieses Vertrages als frei praktizierende Vertragsärzte kollegial zusammen arbeiten. ...
bb) Gem. §§ 705 ff BGB liegt faktisch eine BGB-Gesellschaft vor. Der Mitarbeiter ist jedoch nicht Mitunternehmer an der Betriebsstätte (Anlagevermögen und ideeller Praxiswert) der Praxisinhaber, die nach dem Steuerrecht für das Finanzamt eine Einzelpraxis bleibt. …
b) Es wird auch kein Anstellungsverhältnis begründet. Eine medizinische Weisung seitens der Praxisinhaber, eine Weiterbildung bzw. eine vertragsärztliche Unterweisun...