Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsanspruch. Prüfungsumfang. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Rechtfertigung durch Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004. Sozialhilfeleistung. kein Verstoß gegen Art 4 EGV 883/2004. Nichteröffnung des sachlichen Geltungsbereichs. kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Anspruch auf Mindestsicherung nach § 73 SGB 12. Arbeitslosengeld II. Erwerbsfähigkeit. Eingliederung in Arbeit. Existenzsicherung. Besondere beitragsunabhängige Leistungen. Diskriminierungsverbot. Arbeitnehmerfreizügigkeit. Effektiver Rechtsschutz. Folgenabwägung. Beiladung des Sozialhilfeträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger ist europarechtskonform.

2. Auch bei solchen Rechtsfragen, die iS des Berufungs- und Revisionszulassungsrechts (§§ 144 Abs 2 Nr 1, 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch klärungsbedürftig erscheinen, dürfen Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht lediglich auf eine Folgenabwägung, sondern auch auf eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. In Fällen, in denen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen können, müssen die Gerichte allerdings, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl BVerfG vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 = BVerfGK 5, 237 = juris RdNr 23 ff und vom 25.2.2009 - 1 BvR 120/09 = BVerfGK 15, 133 = juris RdNr 11). Diese Anforderung bezieht sich indessen auf die Gestaltung des jeweiligen Eilverfahrens durch das zur Entscheidung berufene Gericht, dem die Beurteilung obliegt, ob es selbst sich im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu einer abschließenden Aufklärung des Sachverhalts oder der Beantwortung aller aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Rechtsfragen in der Lage sieht oder nicht.

3. Hilfebedürftige, die von dem Freizügigkeitsrecht für arbeitsuchende Unionsbürger (und ihre Familienangehörigen) Gebrauch machen und bei denen ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche nicht besteht, unterfallen dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, ohne dass es darauf ankommt, ob die materiellen Voraussetzungen für dieses Freizügigkeitsrecht bei ihnen noch vorliegen (entgegen LSG Essen vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13).

4. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 handelt es sich um Sozialhilfeleistungen iS des Art 24 EGRL 38/2004. Der Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (Festhaltung an LSG Celle-Bremen vom 26.2.2010 - L 15 AS 30/10 B ER). Sie wird hinsichtlich der vom Bundesgesetzgeber verfolgten Zielsetzung seit der Neufassung des SGB 2 durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (juris: RBEG/SGB2/SGB12ÄndG; BGBl I 2011, 453) zusätzlich durch die Einfügung von § 1 Abs 1 SGB 2 gestützt, nach der die Grundsicherung für Arbeitsuchende es den Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Mit der Hervorhebung dieses Leistungsgrundsatzes, mit der der Gesetzgeber auf das Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 reagiert und die Sicherung des grundrechtlich durch Art 1 Abs 1 und Art 20 Abs 1 GG verbürgten soziokulturellen Existenzminimums (vgl BT-Drucks 17/3404, S 90 f) an die erste Stelle der das SGB 2 prägenden Leistungsgrundsätze gerückt hat, ist eine teilweise Abkehr von dem programmatischen Konzept des aktivierenden Sozialstaates vollzogen worden. Nunmehr ist klargestellt, dass ungeachtet des Bestehens von Erwerbsfähigkeit als wesentlicher Anspruchsvoraussetzung für Leistungen nach dem SGB 2 die Existenzsicherung Hilfebedürftiger stets der jederzeitigen Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs jedes Grundrechtsträgers dient und diese um ihrer selbst willen als selbständiges und unbedingtes Ziel verfolgt.

5. Der Ausschluss von den Leistungen verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 EGV 883/2004. Das Arbeitslosengeld II fällt bereits nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der EGV 883/2004. Selbst wenn man aber das Arbeitslosengeld II als besondere beitragsunabhängige Leistung iS des Art 70 Abs 2 EGV 883/2004 bewerten würde, führt dies nicht zu einem Gleichbehandlungsanspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 aufgrund des Diskriminierungsverbotes des Art 4 EGV 883/2004. Vielmehr sind Art 7 und 24 EGRL 38/2004 zu berücksichtigen, denn diese gehen der EGV 883/2004 als speziellere Regelungen vor.

6. Ein Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 kommt für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 unte...

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