Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. myoelektrische Unterarmprothese. unmittelbarer Behinderungsausgleich. Genehmigungsfiktion. Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a S 9 SGB 5. Rücknahme einer fingierten Genehmigung
Orientierungssatz
1. Bei einer myoelektrischen Unterarmprothese handelt es sich um die Versorgung mit einem Hilfsmittel innerhalb des unmittelbaren Behinderungsausgleichs iSd § 33 Abs 1 SGB 5 und nicht um eine Reha-Leistung iSd § 13 Abs 3a S 9 SGB 5.
2. Eine fingierte Genehmigung kann nur in den Fällen zurückgenommen werden, in denen eine Fiktionsvoraussetzung nicht vorlag. Das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs ist jedoch nicht Fiktionsvoraussetzung, sodass es darauf auch im Rahmen einer Rücknahme nicht ankommen kann.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für die Versorgung mit einer myoelektrisch gesteuerten Unterarmprothese.
Die 1941 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Ende Mai 2014 musste bei ihr nach einer distalen Radiusfraktur mit muskulärer Ischämie und Weichteilschaden III. Grades mit anschließender Embolie/Thrombose der Arterie der oberen Extremität eine proximale Unterarmamputation rechts durchgeführt werden. Am 12. Juni musste eine Nachresektion durchgeführt werden und aufgrund einer Wundinfektion kam es vom 30. Juni bis zum 14. Juli 2014 zu einer erneuten stationären Aufnahme.
Unter dem 3. Juli 2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage der Verordnung/Notwendigkeitsbescheinigung des Klinikums G. vom 19. Juni 2014 sowie des Kostenvoranschlags der Firma H. und I. vom 3. Juli 2014 eine myoelektrisch gesteuerte Unterarmprothese zum Genehmigungswert von 23.864,75 Euro. Mit Schreiben vom 7. Juli 2014 bat die Beklagte das Klinikum um Übersendung eines aktuellen Befundberichts zur Verordnung vom 19. Juni 2014, um sich durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) beraten zu lassen. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete sie die Klägerin, dass sie zur abschließenden Beurteilung des Kostenübernahmeantrags noch weitere Informationen einholen müsse und zu diesem Zweck den behandelnden Arzt angeschrieben habe. Mit Schreiben vom 29. Juli 2014 forderte die Beklagte einen aktuellen chirurgischen Befundbericht beim Klinikum an. Am gleichen Tag beauftragte sie den MDK mit einer gutachtlichen Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 3. September 2014 stellte die Klägerin fest, da sie von der Beklagten nichts gehört habe, betrachte sie den Kostenvoranschlag unter Hinweis auf § 13 Abs 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) als bewilligt. In seinem Gutachten vom 28. August 2014 kam der MDK zu der Beurteilung, dass aus sozialmedizinischer Sicht eine Unterarmprothese primär als Schmuckhand ausreichend und zweckmäßig sei. Die Notwendigkeit einer hochkomplexen myoelektrischen Unterarmprothese, wie im Kostenvoranschlag von H. und I. ausgewiesen, sei nicht erkennbar. Wichtig erscheine im vorliegenden Fall ein kosmetischer Ausgleich des Handverlustes. Aus orthopädietechnischer Sicht könne die Anfertigung einer primär kosmetischen Unterarmprothese mit leichtem funktionellen Anteil in Form einer Passivprothesenhand empfohlen werden. Zur Adaption am Stumpf könne die Verwendung eines konfektionierten Armprothesenliner-Systems mit Lock-Arretierung empfohlen werden. Dies wurde vom MDK in der weiteren Stellungnahme vom 1. September 2014 bestätigt.
Mit Bescheid vom 9. September 2014 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für eine myoelektrisch gesteuerte Unterarmprothese ab. Der MDK sei in seiner Stellungnahme zu der Beurteilung gekommen, dass eine Standard-Unterarmprothese medizinisch vorrangig sei. Am 30. September 2014 legte die Klägerin Widerspruch ein.
Die Klägerin hat am 5. November 2014 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben zunächst gerichtet auf die Feststellung, dass sie Anspruch auf Versorgung mit der myoelektrischen Armprothese gemäß Kostenvoranschlag vom 3. Juli 2014 habe. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V sei eingetreten, nachdem die 3-Wochenfrist am 24. Juli und die 5-Wochenfrist am 7. August 2014 abgelaufen sei. Der Ablehnungsbescheid sei erst nach Fristablauf am 9. September 2014 ergangen.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens das Gutachten des MDK vom 19. November 2014 eingeholt, der auch bei neuerlicher Durchsicht und Würdigung der Argumentation im Widerspruchsverfahren zu keiner abweichenden Beurteilung gekommen ist. Eine wesentliche Verbesserung bezüglich des Hilfebedarfs im Umfang der Grundpflege bzw auch Teilhabe über Ausgleich feinmotorischer Fähigkeitsstörungen durch die myoelektrische Prothese sei nicht zu erwarten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Janua...