Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Zuerkennung der Merkzeichen H und B im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Nach § 152 Abs. 4 SGB 9 i. V. m. § 33b Abs. 6 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe häufig und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen des täglichen Lebens fremder Hilfe dauernd bedarf.
2. Mit Erreichen der Volljährigkeit ist bei einem Schwerbehinderten nicht mehr auf Teil A Nr. 5 d bb VMG abzustellen. Beim Übergang in das Erwachsenenalter entfällt Hilflosigkeit, wenn der behinderte Jugendliche gelernt hat, die wegen der Behinderung erforderlichen Hilfsmaßnahmen selbständig auszuführen.
3. Ist er infolgedessen auf Hilfeleistungen nur gelegentlich und nicht in erheblichem Umfang angewiesen, so hat er keinen Anspruch mehr auf Zahlung des Merkzeichens H.
4. Das Merkzeichen B kann gemäß §§ 152 Abs. 1 und 4, 229 SGB 9 nur Personen zuerkannt werden, bei denen auch die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl oder H vorliegen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der Merkzeichen H und B durch den Beklagten.
Der am G. geborene Kläger lebt im Haushalt seiner Eltern in H.. Seit 2018 studiert er Informatik an der etwa 30 Kilometer entfernten Hochschule I.. Zuvor besuchte er die Fachoberschule in J..
Mit Bescheid vom 1. April 2016 hatte der Beklagte bei dem Kläger aufgrund einer Entwicklungsstörung, seelischen Störung und Verhaltensstörung einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt und die Merkzeichen H und B zuerkannt.
Im März 2018 machte der Kläger bei dem Beklagten eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes geltend. Bislang seien seine Kommunikationsprobleme und seine Angst vor Veränderungen fälschlicherweise als Sozialphobie betitelt worden. Tatsächlich sei hierfür ein Asperger-Syndrom ursächlich. Er leide weiterhin an Depressionen und werde nunmehr mit Antidepressiva behandelt. Ein von seiner Pflegeversicherung in Auftrag gegebenes Gutachten der K. vom 17. April 2018 (im Folgenden: Pflegegutachten) fügte er bei. Hiernach war bei dem Kläger eine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 empfohlen worden. Ausweislich eines Befundberichts des den Kläger seit 2016 behandelnden Kinder- und Jugendarztes L. war bei dem Kläger im März 2018 ein Asperger-Autismus fremddiagnostiziert worden. Durch die psychotherapeutische und medikamentöse Unterstützung sei es dem Kläger möglich, den Alltagsanforderungen einigermaßen zu entsprechen. Durch seine Eltern erfahre er eine wichtige Alltagsstrukturierung. Er gerate jedoch immer wieder in zwanghaftes Denken und Grübeln, sei leicht irritierbar und suggestibel. Nach den abgelegten Abiturarbeiten fühle er sich nunmehr weniger gestresst. Der Ärztliche Dienst des Beklagten ging unter Würdigung der vorliegenden Unterlagen davon aus, dass ein Asperger-Syndrom zwar berücksichtigt werden könne. Auswirkungen auf den festgestellten GdB ergäben sich hierdurch hingegen nicht. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen aufgrund der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit des Klägers nicht mehr vor.
Daraufhin leitete der Beklagte ein Anhörungsverfahren wegen der beabsichtigten - hier streitgegenständlichen - Entziehung der Merkzeichen H und B ein, in dessen Verlauf verschiedene Befundberichte eingeholt und medizinische Unterlagen vorgelegt wurden. Der Kläger reichte einen Befundbericht seiner ihn seit Mai 2017 behandelnden Diplom-Psychologin H. ein, wonach bei dem Kläger autismustypische Defizite in Wahrnehmung, Kommunikation und Interaktion sowie Besonderheiten im Denken bei gut durchschnittlicher Grundintelligenz vorlägen. Er tue sich schwer damit, unterschiedliche komplexe Alltagssituationen zu überschauen, zu verstehen und angemessen mit ihnen umzugehen. Reizüberflutungen im öffentlichen Raum könne er schwer ertragen, was zu umfänglichem Vermeidungsverhalten führe. Bei komplexen Anforderungen im Schul- und Leistungsbereich gerate er schnell unter Druck, verliere wertvolle Zeit und bleibe teilweise unter seinem Leistungsvermögen. Er habe massiv eingeschränkte Interessen und Freizeitaktivitäten. Sein soziales Leben finde im Wesentlichen im familiären Rahmen statt. Außerhalb benötige er die Begleitung und Vergewisserung seiner Eltern, weil er erhebliche Ängste vor unberechenbaren, teils auch erwartbaren Situationen und Anforderungen habe. Er erhalte Psychotherapie und sei medikamentös eingestellt. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie M., bei dem sich der Kläger erstmalig im Februar 2019 vorgestellt und der die Diagnose Autismus bestätigt hatte, gab an, dass sich der Kontakt schüchtern, bisweilen abweisend gestalte. Auf direkte Ansprache reagiere der Kläger dann aber freundlich und zeige eine ausreichende Schwingungsfähigkeit. Er sei vollorientiert, im formalen Denken stark zentriert auf die aktuelle Situation. Kon...