Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Analogleistung. Unzumutbarkeit der Ausreise aufgrund sozialer Integration. faktische Inländereigenschaft. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. fehlende Kausalität. konkrete Betrachtungsweise. Fortwirkung

 

Orientierungssatz

1. Ein Ausländer handelt rechtsmissbräuchlich iS des § 2 Abs 1 AsylbLG, wenn er nicht ausreist, obwohl ihm dies zumutbar und möglich ist (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 9b AY 1/06 R = SozR 4-3520 § 2 Nr 1). Eine erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft kann jedoch ein rechtliches Hindernis iS von Art 8 MRK begründen, aufgrund dessen die Ausreise in das Herkunftsland unzumutbar ist.

2. Ein Eingriff in die Rechte des Art 8 Abs 1 MRK muss eine notwendige Maßnahme darstellen und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein (vgl BVerfG vom 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 = NVwZ 2007, 946). Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist hinsichtlich der Zumutbarkeit der Ausreise bei solchen Asylbewerbern in Betracht zu ziehen, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist.

3. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer ist dann anzunehmen, wenn sich das rechtsmissbräuchliche Verhalten konkret und kausal verlängernd auf die Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland ausgewirkt hat bzw noch auswirkt. Das kausale, vorwerfbare Verhalten muss im streitgegenständlichen Zeitraum noch fortwirken (entgegen LSG Celle-Bremen vom 20.12.2005 - L 7 AY 40/05, vgl LSG Celle-Bremen vom 11.7.2007 - L 11 AY 12/06 ER).

 

Tatbestand

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der ledige Antragsteller wurde am H. in I. (ehemaliges Jugoslawien) geboren. Er hat die serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit. Zum ersten Mal reisten die Eltern mit drei älteren Geschwister des Antragstellers im Jahre 1980 in die Bundesrepublik ein. Der im Jahre 1980 gestellte Asylantrag der Eltern blieb erfolglos. Das Asylverfahren wurde unter Berufung auf die albanische Volkszugehörigkeit betrieben.

Der Antragsteller reiste am 2. September 1987 mit seinen Eltern und nun fünf minderjährigen Geschwistern in die Bundesrepublik ein. Das siebte Kind wurde in der Bundesrepublik geboren (die parallelen Beschwerdeverfahren der Eltern und vier der jetzt volljährigen Geschwister sind anhängig unter dem Aktenzeichen L 11 AY 13/07 ER, L 11 AY 11/07 ER, L 11 AY 15/07 ER und L 11 AY 14/07 ER und L 11 B 14/07 AY, L 11 B 12/07 AY, L 11 B 16/07 AY, L 11 B 15/07 AY).

Der Asylerstantrag des Antragstellers wurde rechtskräftig abgelehnt (Beschluss Nds. OVG vom 12. Dezember 1991, Az: 8 L 4353/91). Asylfolgeanträge aus den Jahren 1996 und 1999 wurden ebenfalls rechtskräftig abgelehnt. In diesen Asylverfahren gab der Antragsteller an, jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit zu sein. Ein weiterer Asylfolgeantrag aus dem Jahre 2005 blieb ebenfalls erfolglos. Dort gab der Antragsteller die Zugehörigkeit zum Volk der Roma an.

Im Schriftsatz des seinerzeit Bevollmächtigten vom 23. November 2000 beantragte der Antragsteller, die Voraussetzungen des § 53 Abs 6 Ausländergesetz (AuslG) festzustellen. Dort gab der Antragsteller erstmals an, dem Volk der Roma aus dem Kosovo zugehörig zu sein. Die Roma Zugehörigkeit sei bisher nicht offenbart worden. Es habe die Befürchtung bestanden, in die Heimat zurückgeführt zu werden. In früheren Zeiten seien die Verwaltungsbehörden bzw. Gerichte davon ausgegangen, dass Roma-Zugehörige keine Verfolgung zu befürchten hätten. Die Volksgehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Roma wurde am 26. Oktober 2000 durch den Niedersächsischen Verband deutscher Sinti e.V. Hannover bescheinigt.

Der Antragsteller ist im Besitz von fortlaufend befristeten Duldungen (§ 60 a AufenthG). Er ist vollziehbar zur Ausreise verpflichtet.

Seit dem 1. März 2005 gewährte der Antragsgegner Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG (Bescheid vom 21. Februar 2005). Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Oktober 2006 bewilligte der Antragsgegner Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG vom 1. Oktober 2006 bis auf Weiteres. Am 17. November 2006 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein. Über diesen ist bislang offensichtlich nicht entschieden worden.

Der Antragsteller hat am 08. Dezember 2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (SG) Aurich gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Voraussetzungen des 36-monatigen Leistungsbezugs im Sinne von § 2 Abs 1 AsylbLG vorliegen. Für den Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens trage der Antragsgegner die Beweislast. Der Anordnungsanspruch für privilegierte Leistungen gemäß § 2 AsylbLG sei gerechtfertigt, weil nach der oberve...

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