Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungsrecht. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. Anrechnung der Bezugszeit anderer Sozialleistungen auf Wartezeit in § 2 Abs 1 AsylbLG. erweiternde Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die zeitlichen Voraussetzungen des 48-monatigen Bezugs von "Leistungen nach § 3 AsylbLG" sind auch dann erfüllt, wenn Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, nach dem SGB 2, SGB 12 bzw nach dem BSHG auf die Dauer des Leistungsbezugs nach § 3 AsylbLG angerechnet werden.
2. Die Anrechnung von Sozialleistungen, die den für das Existenzminimum notwendigen Lebensbedarf im Rahmen eines beitragsunabhängigen, steuerfinanzierten Fürsorgesystems sicherstellen, ist im Wege einer erweiternden Auslegung über den Wortlaut der Norm hinaus zulässig und entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift von § 2 Abs 1 AsylbLG.
3. Diese Rechtslage galt auch bereits gem § 2 Abs 1 AsylbLG aF (36-monatiger Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG).
4. § 2 Abs 1 AsylbLG normiert keine "Wartefrist", sondern setzt den tatsächlichen Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes voraus.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 30.Oktober 2007 wird geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - bis zum Abschluss des Klagverfahrens Leistungen gem. § 2 Abs 1 AsylbLG ab 13. Februar 2008 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren.
Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus I. für das Beschwerdeverfahren bewilligt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.
Gründe
I.
Im Beschwerdeverfahren ist die Herabstufung von Leistungen gem. § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nur noch für den Antragsteller aufgrund der zum 28. August 2007 erfolgten Gesetzesänderung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes streitig.
Der Antragsteller (im erstinstanzlichen Verfahren zu 4.) wurde am K. in L. am Harz geboren. Die unverheiratete Mutter (vormals Antragstellerin zu 1.) reiste mit dem Kindesvater und zwei weiteren minderjährigen Kindern (letztere vormals Antragsteller zu 2. und 3.) am 11. Februar 2002 in die Bundesrepublik ein. Die Familie hat die irakische Staatsangehörigkeit und die kurdische Volkszugehörigkeit. Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte und Folgeanträge blieben erfolglos (vgl. zuletzt Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juni 2007; derzeit anhängig beim Verwaltungsgericht I., Az: M.). Das Asylerstverfahren des Antragstellers ging ebenfalls erfolglos aus (vgl. Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. April 2004). Der Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik wird fortlaufend geduldet. Der in familiärer Gemeinschaft lebende Vater des Antragstellers ist seit 1. Oktober 2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs 3 Aufenthaltsgesetz und einer Arbeitserlaubnis. Bis dahin war er nach erfolglosem Asylverfahren ebenfalls geduldet. Seit 1. Oktober 2007 bezieht der Vater Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Seit 18. Februar 2002 bezogen die Eltern und Geschwister des Antragstellers Leistungen gemäß § 3 AsylbLG. Am 18. Februar 2005 wurden diese Leistungen für den Antragsteller und seine Familie fehlerhaft (vgl. Vermerk des Antragsgegners vom 12. Oktober 2007) auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) umgestellt. Bis 30. Juni 2005 stand die Familie im Leistungsbezug nach dem SGB II. Ab 1. Juli 2005 wurde der Leistungsbezug korrigiert und der Antragsteller und seine Familie bezogen Leistungen gemäß § 2 AsylbLG (vgl. Bewilligungsbescheid vom 22. Juni 2005). Dieser Leistungsbezug dauerte bis 30.September 2007 an (vgl. zuletzt Bewilligungsbescheid vom 22. Juni 2007).
Mit Bescheid vom 18. September 2007 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 22. Juni 2007 für die Zeit ab 1. Oktober 2007 auf. Der Bescheid war nur an den Vater des Antragstellers adressiert. Als Grund der Umstellung wurde die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union ab 28. August 2007 erfolgte Gesetzesänderung benannt, wonach Leistungen gemäß § 2 AsylbLG nunmehr nach einem 48-monatigen Bezug von Leistungen gemäß § 3 AsylbLG beansprucht werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Es handele sich um eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), so dass der Bescheid vom 22. Juni 2007 mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben sei. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2007 änderte der Antragsgegner den Bescheid vom 18.September 2007 dahingehend ab, dass der Vater des Antragstellers aus dem Leistungsbezug nach dem AsylbLG heraus fiel. Ab 1. Oktober 2007 wurde ihm aufgrund des veränderten Aufenthaltsstatus Leistungen nach dem SG...