Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensentscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts sind im Beschwerdeverfahren durch das Rechtsmittelgericht in vollem Umfang überprüfbar
Leitsatz (amtlich)
1. Die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung gem. § 109 SGG über die Übernahme von Gutachterkosten auf die Staatskasse ist im Beschwerdeverfahren nicht auf eine Ermessensüberprüfung beschränkt. Vielmehr ist die Entscheidung in vollem Umfang überprüfbar.
2. Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für Beschwerden gegen erstinstanzliche Kostenentscheidungen nach § 193 SGG.
Leitsatz (redaktionell)
Erstinstanzliche Ermessensentscheidungen sind im Beschwerdeverfahren nicht nur auf etwaige Ermessensfehler, sondern in vollem Umfang überprüfbar. Dies gilt im Beschwerdeverfahren sowohl für Kostenentscheidungen nach § 109 SGG als auch nach § 193 SGG.
Bei nur teilweiser Förderung des Verfahrens durch ein Gutachten nach § 109 SGG sind die Kosten des Gutachtens dem Kläger nur teilweise durch die Landeskasse zu erstatten.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 24. September 2004 i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 24. September 2004 (i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Oktober 2004), wonach lediglich zwei Drittel der Kosten der Begutachtung gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Staatskasse übernommen wurde. Der Kläger begehrt die Übernahme der vollständigen Kosten der Begutachtung durch Dr. F. auf die Staatskasse.
Bei dem Kläger wurde (im Wesentlichen aufgrund der Folgen eines Schlaganfalls) mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. September 1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 bei Zuerkennung des Merkzeichens “G„ festgestellt.
Mit Bescheid vom 18. Januar 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2002 setzte der Beklagte den GdB mit Wirkung ab 1. Februar 2000 auf 30 herab und entzog das Merkzeichen “G„. Dies wurde damit begründet, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers gebessert habe.
Mit der am 21. Januar 2002 beim SG Hannover erhobenen Klage begehrte der Kläger neben der Aufhebung des Herabsetzungsbescheides die Feststellung eines GdB von mindestens 60 und die Zuerkennung des Merkzeichens “B„. Im Klageverfahren wurde von Amts wegen das internistische Gutachten des Prof. Dr. G. vom 24. Februar 2003 eingeholt, der sich für einen GdB von 30 aussprach. Auf Antrag des Klägers wurde zudem gem. § 109 SGG das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. F. vom 20. Juli 2004 eingeholt, in dem der GdB auf 60 geschätzt wurde.
Aufgrund des Gutachtens des Dr. F. erkannte der Beklagte mit Schriftsatz vom 23. August 2004 einen GdB von 60 bei Zuerkennung des Merkzeichens “G„ an. Dieses Teilanerkenntnis nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 17. März 2004 an, nahm die Klage bezüglich des Merkzeichens “B„ zurück und erklärte den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt.
Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 24. September 2004 (i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Oktober 2004) lediglich zwei Drittel der Kosten der Begutachtung auf die Staatskasse übernommen, weil das Gutachten hinsichtlich des ebenfalls mit der Klage geltend gemachten Merkzeichens “B„ keine neuen Erkenntnisse erbracht habe. Deshalb komme lediglich eine teilweise Kostenübernahme in Betracht.
Der Beschwerde vom 22. Oktober 2004, mit der der Kläger geltend macht, dass das Gutachten den Rechtsstreit vollumfänglich gefördert habe, hat das SG nicht abgeholfen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Entscheidung, ob die Kosten einer Begutachtung nach § 109 SGG nachträglich auf die Staatskasse übernommen werden, steht im Ermessen des Gerichts (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 109 Rdnr. 16 m.w.N.).
Derartige erstinstanzliche Ermessensentscheidungen sind im Beschwerdeverfahren nicht nur auf etwaige Ermessensfehler des SG, sondern in vollem Umfang überprüfbar (vgl. LSG Berlin, Breithaupt 1966, 636; LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1998, 943 mit umfangreichen weiteren Nachweisen; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 193 Rdnr. 17; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage 2002, XII Rdnr. 82; Peters/Sautter/Wolff: Sozialgerichtsgesetz, § 109 II/74-84 und § 193/109-63).
Der Gegenmeinung, wonach Ermessensentscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts im Beschwerdeverfahren nur auf Ermessensfehler zu überprüfen sind (vgl. LSG Berlin, Breithaupt 1965, 438; LSG Niedersachsen, SGb 1997, 643; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10. März 2004 - L 9 B 41/03 SB; Zeihe, SGG, § 109 Rdnr. 9e; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 176 Rdnr. 4; Krasney-Udsching, a.a.O., X Rdnr. 55), folgt der erkennende Senat nicht. Denn durch den Devolutiveffekt der Beschwerde geht die Befugnis zur Ausübung des richterlichen Ermessens in vollem Umfang auf das Rechtsmittelgericht über. Anders als bei einer Ermessensentscheidung einer Verwaltungsbehör...