Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtversicherung in der KVdR. Neun-Zehntel-Belegung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. keine Verletzung der Beratungspflicht durch den Versicherungsträger bei Unsicherheit einer verlässlichen Vorhersage vor der endgültigen Verabschiedung eines Gesetzes. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Eine Beratungspflicht für einen Versicherungsträger setzt eine gesicherte gesetzliche Grundlage voraus (hier: Beratung einer Versicherten über die Mitgliedschaft in der KVdR im Dezember 1987 vor der Einführung der Neun-Zehntel-Belegung der zweiten Hälfte des Erwerbslebens - vgl BSG vom 26.6.1996 - 12 RK 69/94).
2. § 5 Abs 1 Nr 11 SGB 5 idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988 verstößt nicht dadurch gegen Art 3 Abs 1 GG, dass bei der Berechnung der Vorversicherungszeit auf die individuelle Erwerbsbiographie des jeweiligen Rentners abgestellt wird. Er enthält auch keine geschlechtsspezifische Benachteiligung und ist daher mit Art 3 Abs 2 GG vereinbar (vgl LSG Darmstadt vom 21.10.2004 - L 1 KR 737/03).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Rechtsstreit betrifft die Mitgliedschaft der Klägerin in der Krankenversicherung der Rentner (KvdR).
Die ... geborene Klägerin bezieht seit dem 1. Dezember 2003 vorgezogene Altersrente. Ihre Erwerbstätigkeit begann am 1. April 1960. Am 8. Juli 2003 stellte sie den Rentenantrag. In der Zeit vom 1. September 1987 bis 28. Februar 1991 war sie privat über ihren Ehemann krankenversichert.
Mit Bescheiden vom 26. August 2003 und 6. November 2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Aufnahme in die KvdR ab, weil die Klägerin seit der ersten Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit bis zur Rentenantragstellung nicht mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder familienversichert gewesen sei. Die Klägerin sei nur 18 Jahre, 1 Monat und 19 Tage in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen. Sie hätte aber 19 Jahre, 5 Monate und 26 Tage gesetzlich krankenversichert gewesen sein müssen. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2004).
Hiergegen hat die Klägerin am 7. Juli 2004 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Sie habe im Jahre 1987, als noch die sog. Halbbelegung gegolten habe, ihre Entscheidung hinsichtlich der privaten Krankenversicherung getroffen. Sie - die Klägerin - habe sich diesbezüglich im Dezember 1987 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) beraten lassen. Dabei habe es die BfA unterlassen, sie auf die später eingeführte Neun-Zehntel-Regelung hinzuweisen. Die BfA habe ihr mit Schreiben vom 13. Januar 1988 mitgeteilt, dass keine Schwierigkeiten für die Aufnahme in die KvdR bestünden, wenn sie bis zum 30. Juni 1991 wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehme. Auf die anstehenden Änderungen sei die BfA mit keinem Wort eingegangen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. April 2005 abgewiesen: Zu Recht habe die Beklagten den Antrag der Klägerin auf Aufnahme in die KvdR abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien nicht erfüllt. Das sei zwischen den Beteiligten unstreitig. Entgegen der Ansicht der Klägerin folge ein anderes Ergebnis auch nicht aus dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Soweit die Klägerin meine, die Beklagte habe sie nach einer Beratung im Jahre 1987 auf die zum 1. Januar 1989 eingeführte Gesetzesänderung (Wechsel von der Halbbelegung auf die neun Zehntel-Regelung) hinweisen müssen, könne ihr nicht gefolgt werden. Denn die Neun-Zehntel-Regelung sei mit Wirkung vom 1. Januar 1989 erst durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 (GRG), verkündet am 21. Dezember 1988, in Kraft getreten. Erst ab diesem Zeitpunkt hätte eine Beratungspflicht bestanden. Ein Beratungsfehler liege insoweit aber nicht vor, weil die Klägerin bereits im September 1987 über ihren Ehemann privat krankenversichert worden sei. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nicht verfassungswidrig. Durch die Zugangsverschärfung in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V habe der Gesetzgeber den Solidaritätsgedanken stärken und die Versichertengemeinschaft von Krankheitskosten der Personen entlasten wollen, die während der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung nicht längere Zeit angehört hätten. Ziel sei die finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. In diesem Falle sei es verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genüge dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn die mit der Neuregelung verfolgten öffentlichen Belange das Interesse des Einzelnen am Fortbestand des bisherigen Rechts überwiegen würden. Das sei hier der Fall, zumal der Gesetzgeber in Art. 56 Abs. 1 GRG Übergangsvorschriften für Rentenanträge vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1993 vorgesehen habe. Danach hä...