Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Erstattung außergerichtlicher Kosten. Kostenverteilung. Erledigung der Hauptsache. schwierige Rechtsfragen. Kostenquotelung zu je 1/2

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erledigt sich ein Verfahren, in dem schwierige Rechtsfragen zu beantworten sind, ohne gerichtliche Entscheidung, bietet sich eine Kostenquotelung zu 1/2 an.

2. Bei der nach § 193 SGG vorzunehmenden Billigkeitsentscheidung erfolgt hinsichtlich der Erfolgsaussichten der (mittlerweile unstreitig erledigten) Klage aus prozessökonomischen Gründen nur eine überschlägige rechtliche Prüfung des Streitstoffs; schwierige Rechtsfragen des Hauptsacheverfahrens sind nicht mehr zu klären.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren in vollem Umfang.

 

Gründe

I.

Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts Aurich in dem Klageverfahren S 7 BL 23/05 / S 17 BL 1/07 WA (Beschluss vom 10. Oktober 2007).

Mit der am 24. Juni 2005 erhobenen Klage wandte sich der Kläger gegen die Entziehung des ihm gewährten Landesblindengeldes zum 1. Januar 2005 infolge der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld für Zivilblinde (Landesblindengeldgesetz - LBlGG -) durch Artikel 13 des Haushaltbegleitgesetzes 2005 vom 17. Dezember 2004 (Nds GVBl S. 664). Nachdem aufgrund einer weiteren Änderung des LBlGG durch Artikel 15 des Haushaltbegleitgesetzes 2007 vom 15. Dezember 2006 (Nds GVBl S 597) dem Kläger mit Wirkung ab Januar 2007 erneut Landesblindengeld gewährt worden war, erklärte er seine Klage für erledigt (Schriftsatz vom 19. April 2007).

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2007 hat das SG Aurich dem Beklagten die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entscheidung zur Hauptsache als offen anzusehen sei, weil bei einer Fortführung des Verfahrens schwierige verfassungsrechtliche Rechtsfragen zu beantworten gewesen wären.

Gegen den dem Beklagten am 25. Oktober 2007 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 1. November 2007 eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage hätte abgewiesen werden müssen. Ein anderes Sozialgericht habe bereits entschieden, dass die auf der Gesetzesänderung beruhende Entziehung von Landesblindengeld rechtmäßig sei (Urteil des SG Lüneburg vom 12. Juni 2007 - S 11 BL 6/05; Berufung anhängig beim erkennenden Senat unter dem Az: L 5 BL 2/07). Zudem liege ein wissenschaftliches Gutachten vor, wonach die streitbefangene Änderung des LBlGG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege. Somit habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtene Kostenentscheidung des SG erweist sich als rechtmäßig.

Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten richtet sich nach § 193 SGG, wobei nach allgemeiner Auffassung die Verteilung der Kosten nach billigem Ermessen zu erfolgen hat. In der Regel ist es billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt (vgl. insgesamt, auch zu den weiteren bei einer Kostenentscheidung zu berücksichtigenden Umständen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 193 Rdnr 12-13 d mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. November 2005 - L 13 B 5/05 SB -, Breithaupt 2006, 436). Maßgeblich ist der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung; weitere Ermittlungen sind nicht mehr anzustellen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr 13 d). Bei offenen Erfolgsaussichten sowie bei schwierigen Rechtsfragen ist nach allgemeiner Meinung eine Quotelung der Kosten zu je 1/2 geboten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr: 13; ebenso zu § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung: Sächsisches OVG, Beschluss vom 20. Mai 1997 - 2 S 19/96, NVwZ-RR 1998, 464; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. August 2007 - 1 CS 07.1819).

Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Klage gegen die zum 1. Januar 2005 erfolgte Entziehung des Landesblindengeldes erfolglos geblieben ist und die - unabhängig vom anhängigen Klageverfahren vorgenommene - erneute Leistungsbewilligung ausschließlich auf der zum 1. Januar 2007 in Kraft getretenen erneuten Gesetzesänderung beruhte. Entscheidend für die Kostenentscheidung nach § 193 SGG ist jedoch nicht der tatsächliche Ausgang des Verfahrens, sondern die mutmaßliche gerichtliche Entscheidung bei einer hypothetisch unterstellten Fortführung des Verfahrens.

Die Prognose einer gerichtlichen Entscheidung ist naturgemäß von vornherein mit Unwägbarkeiten behaftet (u.a. wegen der fehlenden Kenntnis des weiteren Vortrags der Beteiligten, der fehlenden Kenntnis des Ergebnisses einer eventuellen Sachverhaltsermittlung und der Mög...

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