Entscheidungsstichwort (Thema)

Berichtigung. offenbare Unrichtigkeit. Tenor. Kostenentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Liegt eine offenbare Unrichtigkeit iSd § 138 Satz 1 SGG vor, kann eine Kostenentscheidung auch in ihr Gegenteil verkehrt werden.
  • § 138 Satz 1 SGG ist weit auszulegen, wenn die Berichtigung der einzige Ausweg ist, die unrichtige Kostenentscheidung zu korrigieren.
 

Normenkette

SGG §§ 138, 193 Abs. 1, 4; ZPO §§ 91, 319

 

Verfahrensgang

SG Hannover (Beschluss vom 14.10.2003; Aktenzeichen S 6 KR 1486/01)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines Beitragszuschusses (§ 257 Fünftes Sozialgesetzbuch) begehrt. Der Kläger hat vorgetragen, er habe zur Beklagten nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Wegen seiner hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit sei er vielmehr versicherungsfrei gewesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2003 hat das SG entschieden: “1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.” In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass die Kostenentscheidung auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhe.

Am 7. Juli 2003 hat die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid hinsichtlich der Kostenentscheidung zu berichtigen. Die Klage sei in vollem Umfange abgewiesen worden. Die Kostenentscheidung sei daher offenbar unrichtig.

Mit Beschluss vom 14. Oktober 2003 hat das SG den Tenor des Gerichtsbescheides vom 23. Mai 2003 dahin berichtigt, dass der Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt.

Gegen diesen ihm am 31. Oktober 2003 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 1. Dezember – einem Montag – Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Kostengrundentscheidung im Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2003 stelle keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 138 SGG da. Denn im SGG finde sich keine dem § 91 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) vergleichbare Regelung, die die Kostenpflicht grundsätzlich der unterliegenden Partei zuweise. Im sozialgerichtlichen Verfahren obliege es nach § 193 Abs. 1 SGG vielmehr dem Gericht zu entscheiden, ob und in welchem Umfange die Beteiligten einander Kosten zu erstatten hätten.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 138 Satz 1 iVm § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Gerichtsbescheid jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Eine offenbare Unrichtigkeit liegt nach allgemeiner Rechtsauffassung vor, wenn die gewollte Entscheidung mit der tatsächlich ausgesprochenen Entscheidung nicht übereinstimmt (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 138 Rn 3). Offenbar ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Irrtum bei vernünftiger Überlegung auf der Hand liegt (Meyer-Ladewig, aaO, Rn 3d; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 319 Rn 11; jeweils mwN).

Auch der Tenor, einschließlich der Kostenentscheidung, kann berichtigt werden. Er darf sogar in sein Gegenteil verkehrt werden. Denn § 138 Satz 1 SGG ist weit auszulegen, wenn eine Berichtigung der einzige Ausweg ist, die unrichtige Kostenentscheidung zu korrigieren (vgl. insoweit zu § 319 ZPO: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 319 Rn 5). Das ist hier der Fall. Eine Berufung der Beklagten wäre unzulässig, weil sie in der Hauptsache obsiegt hat und insoweit nicht beschwert ist. Eine Berufung allein in Bezug auf die Kosten des Verfahrens wäre nach § 144 Abs. 4 SGG unzulässig.

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 138 Satz 1 SGG erfüllt.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2003 die Klage abgewiesen. Gleichwohl sind die Kosten der Beklagten nicht dem unterliegenden Kläger auferlegt worden, ohne dass aus Sicht des SG hierfür ein Grund vorliegt. Zwar weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass das SGG keine Vorschrift im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO kennt, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Es entspricht jedoch auch im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich der Billigkeit, dass diejenige Partei kostenpflichtig ist, die unterliegt. Allerdings kommt diese Regel in sozialgerichtlichen Prozessen zumeist deshalb nicht zum Tragen, weil die Kosten der Versicherungsträger nach § 193 Abs. 4 SGG nicht erstattungsfähig sind. Nur aus diesem Grund wird in den meisten sozialgerichtlichen Verfahren auch bei Unterliegen eines Versicherten entschieden, dass Kosten nicht zu erstatten sind. Es liegt auf der Hand, dass das SG aus Versehen auch im vorliegenden Prozess diesen Tenor verwandt hat, obwohl der Kläger keinen Versicherungsträger, sondern eine natürliche Person verklagt hat.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Unterschriften

Schimmelpfeng-Schütte, Poppinga, Wolff

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1200397

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