Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. aufschiebende Wirkung einer Klage. Richtgrößenregress im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Geltendmachung von Datenfehlern und Praxisbesonderheiten. keine Verpflichtung zur Vereinbarung einer individuellen Richtgröße

 

Orientierungssatz

1. Zur aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Richtgrößenregress im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

2. Datenfehler sind bei einer Richtgrößenprüfung schon vor den Prüfgremien im Verwaltungsverfahren geltend zu machen (vgl BSG vom 16.7.2008 - B 6 KA 57/07 R = BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19).

3. Praxisbesonderheiten, dh aus der Zusammensetzung der Patienten eines Vertragsarztes herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Fachgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind (vgl hierzu BSG vom 21.6.1995 - 6 RKa 35/94 = SozR 3-2500 § 106 Nr 27 und BSG vom 23.2.2005 - B 6 KA 79/03 R = USK 2005-108), müssen vom betroffenen Vertragsarzt substantiiert vorgetragen werden. Dieser muss spezielle Strukturen aufzeigen, etwa indem er die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz seiner Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Arzneimitteln für die Therapie der konkreten Erkrankung erforderlich ist.

4. Bei Richtgrößenprüfungen ist der Begriff der Praxisbesonderheiten nicht anders zu definieren als bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach Durchschnittswerten.

5. Aus der Regelung des § 106 Abs 5a S 1 SGB 5 kann keine Verpflichtung zur Vereinbarung einer individuellen Richtgröße abgeleitet werden.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 12. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6211,90 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Richtgrößenregress.

Die Antragstellerin nahm im Jahr 2002 als fachärztliche Internistin mit Praxissitz in C. an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Die Geschäftsstelle der Prüfungseinrichtungen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung teilte ihr mit Schreiben vom 27. Juli 2006 mit, dass sie im Jahr 2002 die Richtgrößen für Arznei- und Heilmittel (saldiert) mit 73,95 % um mehr als 25 % überschritten habe und daher gemäß § 10 Abs 3 der Richtgrößenvereinbarung (RGV) von Amts wegen eine Richtgrößenprüfung einzuleiten sei. Der vorläufig errechnete Nettoregress belaufe sich auf 120.357,51 Euro.

In ihrer Stellungnahme vom 9. September 2006 machte die Antragstellerin geltend, ihre Praxis sei schwerpunktmäßig kardiologisch orientiert; die Behandlung der schweren kardialen Dekompensation und der arteriellen Hypertonie sei sehr kostenintensiv. Außerdem machten die Praxisbesonderheiten nach den Anl 2 und 3 der RGV einen höheren Betrag aus, als von der Geschäftsstelle anerkannt. Der Prüfungsausschuss Niedersachsen setzte mit Bescheid vom 30. November 2006 einen Regress iHv 75.288,74 Euro fest, wobei er zugunsten der Antragstellerin Praxisbesonderheiten iHv insgesamt 104.704,98 Euro berücksichtigte.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 18. Dezember 2006 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie erneut auf den kardiologischen Behandlungsschwerpunkt verwies. Als Praxisbesonderheit machte sie weiterhin weitere Arzneimittel nach Anl 2 der RGV, besonders “teure Patienten„ und nicht ausreichend berücksichtigte freiwillig versicherte Rentner geltend.

Der Antragsgegner gab dem Widerspruch teilweise statt und reduzierte den Regress mit Bescheid vom 14. Januar 2010 auf 24.847,59 Euro. Er sah in der Behandlung kardiologischer Erkrankungen einen besonderen Schwerpunkt mit der Folge, dass die Verordnung von Statinen und antithrombotischen Mitteln zu 50 % als Praxisbesonderheit anerkannt wurden. Weitere Behandlungsschwerpunkte hätten sich in den Verordnungsdaten nicht widergespiegelt. Die Anerkennung von Präparaten und Präparategruppen über die Anl 2 zur RGV 2002 sei nicht möglich, weil dies in Niedersachsen nicht vereinbart worden sei. Die Summe der anerkannten Praxisbesonderheiten machte einen Betrag von insgesamt 153.706,10 Euro aus. Die mindestens 65 Jahre alten Patienten mit dem Versichertenstatus “freiwillig Versicherter„ wurden wie Rentner behandelt, woraus sich ein Differenzbetrag von 6.495,28 Euro zugunsten der Antragstellerin ergab.

Am 27. Januar 2010 hat die Antragstellerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben; am 10. März 2010 hat sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt. Zur Begründung des Eilantrags hat sie gerügt, dass den Vertragsärzten in Niedersachsen die Richtgrößen für das Jahr 2002 nicht rechtzeitig bekannt gegeben worden seien. Außerdem hat sie das behauptete Verordnungsvolumen...

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