Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Aufhebung der Bewilligung bei wahrheitswidriger Verneinung der Mitgliedschaft in einem Sozialverband. Aufhebungsvoraussetzungen. in Berufungsinstanz anhängiges Hauptsacheverfahren. Zuständigkeit des Berufungsgerichts auch für Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung für die erste Instanz
Leitsatz (amtlich)
1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs 1 Nr 2 ZPO liegen vor, wenn der Kläger eine bestehende Mitgliedschaft in einem Sozialverband, die kostengünstigen Rechtsschutz anbietet, wahrheitswidrig verneint. Der mit der Mitgliedschaft in einem zur Prozessvertretung befugten Sozialverband verbundene Anspruch auf Rechtsschutz in sozialgerichtlichen Angelegenheiten stellt einen vermögenswerten Anspruch auf kostengünstigeren Rechtsschutz dar.
2. In einem solchen Fall liegen auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 124 Abs 1 Nr 3 ZPO vor, da die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben.
3. Soweit das Hauptsacheverfahren noch in der Berufungsinstanz anhängig ist, ist für die Entscheidung über die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch für die erste Instanz gemäß § 127 Abs 1 S 2 ZPO das Berufungsgericht zuständig.
Tenor
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Kläger durch Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 23. März 2015 wird aufgehoben.
Die Beiordnung von Rechtsanwalt D. wird aufgehoben.
Gründe
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für den Kläger durch Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 23. März 2015 ist aufzuheben. Da das Hauptsacheverfahren noch in der Berufungsinstanz anhängig ist, ist für die Entscheidung über die Aufhebung der PKH-Bewilligung auch für die erste Instanz gem. § 127 Abs. 1 S. 2, 2. Halbs. ZPO das Berufungsgericht zuständig (vgl. Fischer in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 122 Rn. 2 m.w.N.). Die Entscheidung trifft gem. § 73a Abs. 5, Abs. 6 S. 1 und Abs. 7 SGG die für das Hauptsacheverfahren bestellte Berichterstatterin des Senats.
Nach § 73a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) soll die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) u.a. dann aufgehoben werden, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat oder die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH nicht vorgelegen haben.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe sind vorliegend erfüllt.
Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren, für das ihm mit Beschluss des SG Bremen vom 23. März 2015 ratenfreie PKH bewilligt worden ist und Rechtsanwalt D. als Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden ist, zumindest aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht. Die Angaben des Klägers in seinem PKH-Antrag vom 21. Dezember 2012, welche dieser mit Datum vom 21. Dezember 2012 unter Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben unterschrieben hat, waren unrichtig, da er seine zum damaligen Zeitpunkt bestehende (und bis einschließlich 31. Dezember 2016 weiter bestehende) Mitgliedschaft bei dem Sozialverband Deutschland (SoVD) nicht angegeben hat. Aufgrund der Mitgliedschaft des Klägers im SoVD haben die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH nicht vorgelegen, da der Kläger gegenüber dem Sozialverband einen vermögenswerten Anspruch auf kostengünstigen Rechtsschutz hatte. Ist ein Beteiligter Mitglied des SoVD, so ist er gehalten, seine satzungsmäßigen Rechte auf kostenlose Prozessvertretung, die als vermögenswerte Rechte anzusehen sind, auszuschöpfen. Einen Anspruch auf PKH kann er erst erwerben, wenn der Verband Rechtsschutz ablehnt (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 8. Oktober 2009 - B 8 SO 35/09 B). Dies gilt auch, wenn im Falle der Prozessvertretung durch den Verband eine Eigenbeteiligung anfällt. Insoweit kann offen bleiben, ob hinsichtlich der Eigenbeteiligung die Bewilligung von PKH in Betracht kommt oder gemäß § 73a Abs. 2 SGG ausgeschlossen wäre, da mangels Tätigwerden des SoVD eine Eigenbeteiligung zu keinem Zeitpunkt angefallen ist. Ebenso wenig hat der Kläger hierfür (d.h. in Höhe der zu leistenden Eigenbeteiligung) PKH beantragt (vgl. zu dieser Beschränkung bzw. Konkretisierung des PKH-Antrags Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 14. Juni 2006 - B 7b AS 22/06 B). Stattdessen hat der Kläger ausdrücklich und ausschließlich die Übernahme der Kosten für eine Beauftragung von Rechtsanwalt D. beantragt.
Es sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass dem Kläger eine Vertretung durch den SoVD unzumutbar gewesen sein konnte oder dass der SoVD dem Kläger die Rechtsschutzgewährung verweigert hätte. Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch keine ...