Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. gemeinsame Wohnung mit erwerbsfähigem, volljährigen Kind. kein Anspruch auf Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 für im Haushalt der Eltern lebende über 25-Jährige Leistungsbezieher. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.5.2009 - B 8 SO 8/08 R = SozR 4-3500 § 42 Nr 2), nach der im Haushalt der Eltern lebende über 25-Jährige Bezieher von Leistungen nach dem SGB 12 Anspruch auf den Eckregelsatz hatten, ist auf das seit dem 1.1.2011 geltende Recht nicht übertragbar.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 10. August 2011 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) gewährten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, insbesondere über die Höhe des ihm zustehenden Regelsatzes.

Der 1967 geborene Antragsteller ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Er erhielt zunächst Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz und bezieht seit Inkrafttreten des SGB XII am 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII von der für den Antragsgegner handelnden Stadt Leer. Der Antragsteller lebt zusammen mit seiner nicht leistungsberechtigten Mutter in einem Haushalt. Ihm wurde deshalb neben hälftigen Kosten der Unterkunft und Heizung seit 2005 zunächst der Regelsatz für einen Haushaltsangehörigen gewährt. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 19. Mai 2009 (B 8 SO 8/08 R = BSGE 103, 181ff, zitiert nach juris) entschieden hatte, dass der Ansatz eines Regelsatzes für einen Haushaltsangehörigen bei Zusammenleben eines Leistungsberechtigten nach dem 4. Kapitel des SGB XII mit einer anderen erwachsenen Person nur dann gerechtfertigt sei, wenn die Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft eine Einsatzgemeinschaft iS des § 19 SGB XII oder eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II bilden, gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit ab 1. März 2006 den Regelsatz eines Haushaltsvorstandes. Entsprechende Leistungen erhielt der Antragsteller bis 31. Dezember 2010.

Mit Artikel 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des II. und XII. Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I 2011, 453) wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2011 durch Neufassung der §§ 27 bis 29 SGB XII und Einfügung der Anlage zu § 28 SGB XII für die Zeit ab 1. Januar 2011 Regelbedarfsstufen eingeführt. Die Stadt L erließ daraufhin am 1. Juli 2011 einen Änderungsbescheid für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2011, wobei dem Antragsteller bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums am 30. Juni 2011 der für einen Alleinstehenden geltende Regelsatz von monatlich 364,00 € gewährt wurde.

Für den neuen Bewilligungszeitraum ab 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2012 gewährte die Stadt L mit Bescheid vom 1. Juli 2011 Leistungen in Höhe von monatlich 696,14 € unter Berücksichtigung eines Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 3 von 291,00 €, Kosten der Krankenversicherung von 126,90 €, der Pflegeversicherung von 18,74 € und eines Mehrbedarfs für Warmwasser von 7,50 €. Die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung wurden ohne Abzug von Kosten der Warmwasserbereitung und unter Berücksichtigung des Mietanteils für die Mutter des Antragstellers mit 252,00 € angesetzt. Über den hiergegen am 5. Juli 2011 erhobenen Widerspruch mit dem Ziel der Gewährung von Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 ist bislang nicht entschieden.

Am 7. Juli 2011 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Aurich (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel der Gewährung eines Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 1. Das SG hat dem Antrag mit Beschluss vom 10. August 2011 stattgegeben und den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zu einer Bestandskraft des Bescheides vom 1. Juli 2011, längstens bis zum 30. Juni 2012, Leistungen unter Berücksichtigung eines Regelsatzes von 364,00 € monatlich zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass auch nach der erfolgten Gesetzesänderung ab 1. Januar 2011 von einem gemeinsamen Haushalt iS der Anlage zu § 28 SGB XII und damit der Gewährung eines Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 3 im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung nur auszugehen sei, wenn die Voraussetzungen einer Einsatzgemeinschaft oder einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II vorlägen. Der Antragsteller bilde mit seiner Mutter jedoch keine Bedarfsgemeinschaft, weil er das 25. Lebensjahr bereits vollendet habe.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner am 25. August 2011 Beschwerde eingelegt. Er ist de...

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