Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Gerichtsbescheid. Antrag auf mündliche Verhandlung. Unstatthaftigkeit. Entscheidung durch Beschluss. Erfordernis einer Beschwer. keine isolierte Überprüfung der Kostenentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein zwar rechtzeitig gestellter, aber gemäß § 105 Abs 2 S 2 SGG unstatthafter Antrag auf mündliche Verhandlung, bewirkt nicht, dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt (§ 105 Abs 3 Halbs 2 SGG). Über einen derartigen Antrag hat das Sozialgericht durch Beschluss zu entscheiden.

2. Auch für den Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 S 2 SGG gilt das Erfordernis einer Beschwer.

3. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 S 2 SGG ist nicht statthaft, wenn sich der Beteiligte isoliert gegen die aus seiner Sicht unzutreffende Kostenentscheidung des Gerichtsbescheides wehrt.

 

Normenkette

SGG § 105 Abs. 1, 2 S. 2, Abs. 3-4, §§ 125, 172 Abs. 1, § 193; SGB II § 11b Abs. 2-3; BGB § 133

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da das Sozialgericht (SG) Bremen nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss entschieden hat. Unerheblich ist die Frage, ob das Sozialgericht durch Urteil hätte entscheiden müssen, da es nach § 172 Abs. 1 SGG auf die tatsächliche Entscheidungsform ankommt.

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht (§ 173 SGG) erhoben worden. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat den von der Klägerin gestellten Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung zu Recht durch Beschluss abgelehnt, denn der ausschließlich auf die Überprüfung der Kostenquote gerichtete Antrag ist unzulässig.

Gem. § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten gehört wurden. Aus § 105 Abs. 2 SGG folgt, dass die Beteiligten nach Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung das Rechtsmittel einlegen können, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt. Nach § 105 Abs. 3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen. Dabei führt nach ganz herrschender Auffassung in der Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung ein Antrag auf mündlichen Verhandlung nur dann zu der Rechtsfolge, dass der Gerichtsbescheid nicht ergangen ist, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt oder nicht aus sonstigen Gründen unzulässig ist (Müller in: beck-online-GK-SGG, Stand 1. Februar 2023 § 105 Rn. 32; im Ergebnis auch Burkiczak in: jurisPK-SGG, § 105 Rn. 143, 149; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 31. Januar 2017 - B 13 R 33/16 BH - juris Rn. 18; BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 31/12 B - juris Rn. 6).

In Rechtsprechung und Literatur besteht hingegen keine Einigkeit darüber, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung, den das SG für unzulässig erachtet, von diesem durch Beschluss (so etwa Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2017 - L 20 AS 675/17 B - juris Rn. 15; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2017 - L 13 AS 133/17 - juris Rn. 14 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Februar 2018 - L 9 AS 299/17 B; Bienert, SGb 2014, 365 (372); Kühl in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 105 Rn. 6; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 105 Rn. 24 m. w. N.; Müller a.a.O. 105 Rn. 43) oder Urteil (so etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Februar 2017 - L 13 AS 3192/16 B - juris Rn. 14 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. September 2017 - L 18 AS 419/17 B, L 18 AS 1867/17 NZB; jetzt auch Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 105 Rn. 24; Burkiczak in: juris-PK, SGG, § 105 Rn. 119) zu verwerfen ist.

Jedenfalls bei einem unzweifelhaft verfristeten oder aus sonstigen Gründen unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung ist eine Verwerfung durch Beschluss nach Auffassung des Senats als richtige Entscheidungsform anzusehen. Dies folgt aus Sinn, Zweck und Systematik der Regelung des § 105 SGG. Die Regelung des § 105 Abs. 3 Hs. 2 SGG ist nur einschlägig, wenn der Rechtsbehelf des § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG gegeben ist (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2017 - L 13 AS 133/17). Entsprechend geht auch das BSG offenkundig davon aus, dass die Wirkung des § 105 Abs. 3 Hs. 2 SGG - also dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt - nur eintritt, wenn der Antrag auf mündliche Verhandlung fristgerecht erfolgt und im Übrigen zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 31/12 B - juris Rn. 6 Beschluss vom 31. Januar 2017 - B 13 R 33/16 BH - j...

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