Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Überlanges Gerichtsverfahren. Verzögerung des Verfahrens durch den Kläger. Entschädigung für einen immateriellen Schaden. Subjektive Klagehäufung. Gesetzlicher Forderungsübergang. Zweckbestimmte Leistung
Leitsatz (redaktionell)
Es ist nicht geklärt, ob eine Entschädigung für ein überlanges Verfahren nach § 198 Abs. 3 GVG bei der Prüfung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II als Einkommen außer Betracht bleibt.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 3; SGB II § 11 Abs. 1 S. 1, § 11a Abs. 2, § 33; SGG § 73a Abs. 1; ZPO § 114
Tenor
Auf ihren Antrag wird der Antragstellerin zu 1. für das in Aussicht genommene Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt H., I., beigeordnet. Ihre monatliche Ratenbeteiligung wird auf 24,00 € festgesetzt.
Auf ihren Antrag wird der Antragstellerin zu 2. für das in Aussicht genommene Klageverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenbeteiligung bewilligt und Rechtsanwalt H., I., beigeordnet.
Auf ihren Antrag wird der Antragstellerin zu 3. für das in Aussicht genommene Klageverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenbeteiligung bewilligt und Rechtsanwalt H., I., beigeordnet.
Gründe
Dem Antrag der Antragstellerinnen auf Prozesskostenhilfe ist stattzugeben.
Gemäß § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO kann Prozesskostenhilfe u. a. nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Dazu muss ein Erfolg des Klageverfahrens nicht bereits sicher sein. Es genügt vielmehr, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes und der vertretbaren Rechtsauffassungen ein Erfolg nicht fern liegend ist. Diese Voraussetzung liegt vor.
Ein Anspruch der Antragstellerinnen auf Entschädigung für immaterielle Schäden durch die überlange Dauer des Rechtsstreits zum Aktenzeichen S 38 AS 183/12 (SG Hildesheim) erscheint durchaus vorstellbar.
Mit Recht bestreitet der Antragsgegner nicht, dass der vorgenannte Rechtsstreit unangemessen lange im Sinn des § 198 GVG gedauert hat. Weil eine Verzögerung des Rechtsstreites nicht bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) am 3. Dezember 2011 vorgelegen hat - zu diesem Zeitpunkt war der Ausgangsrechtsstreit noch gar nicht anhängig - , liegen die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift der Sätze 2 und 3 des Art. 23 ÜGG nicht vor. Eine im Sinn von Art. 23 Satz 2 ÜGG unverzügliche Rüge war nicht erforderlich, so dass eine in diesem Sinn verzögerte Rüge nicht automatisch die Berücksichtigung der Verfahrensdauer vor der Rüge für die Ermittlung der Gesamtdauer des Verfahrens ausschließt. Dass im Übrigen die Rüge vom 12. Mai 2015 von den Antragstellerinnen bewusst zum Erreichen einer möglichst hohen Entschädigung zu einem späten Zeitpunkt erhoben worden wäre (Verbot des “dulde und liquidiere„), ist nicht ersichtlich.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners steht auch nicht fest, dass die Antragstellerinnen den Entschädigungsanspruch wegen § 33 SGB II nicht - mehr - geltend machen können. Ob ein gesetzlicher Forderungsübergang auf den - für den Fall der Klageerhebung beizuladenden - Träger von Leistungen nach dem SGB II stattgefunden hat, erscheint zwar möglich, durchaus aber auch wenigstens diskussionsfähig. Obergerichtliche Rechtsprechung dazu existiert bisher nicht. Nach § 33 Satz 1, letzter Satzteil SGB II ist Voraussetzung für den gesetzlichen Anspruchsübergang, dass die SGB II-Leistungen bei rechtzeitiger Leistung des Anderen nicht - oder nur in geringerem Umfang - erforderlich gewesen wären. Das wiederum setzt voraus, dass die Zahlungen nach § 198 Abs. 3 GVG bei rechtzeitiger Zahlung zu einer Verminderung des SGB II-Anspruches geführt hätten. Insoweit ist der Hilfebedürftige im Sinn von § 9 Abs. 1 SGB II zunächst auf die Verwertung seines Einkommens verwiesen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist davon jede Einnahme in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der in §§ 11a, 11b SGB II genannten Beträge erfasst.
Näher in Betracht kommt im vorliegenden Fall § 11a Abs. 2 Satz 1 SGB II. Danach sind Leistungen, die nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen. Dass es sich bei den streitigen Leistungen nach § 198 Abs. 3 GVG um solche handelt, die nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu erbringen sind, erscheint nicht zweifelhaft.
Nicht gänzlich abwegig erscheint auch der Gedanke, dass derartige Leistungen einem ausdrücklichen Zweck im Sinn von § 11a Abs. 2 Nr. 1 SGB II zu dienen bestimmt sind. Leistungen nach § 198 Abs. 3 GVG dienen der Entschädigung für die erlittene Verletzung des Rechtes auf ein zügiges Verfahren; insoweit vermutet das Gesetz den Eintritt eines immateriellen Schadens, der an sich nur in der Beeinträchtigung oder dem teilweisen Verlust von Lebensqualität liegen kann. Zweck der Leistung nach