Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde des Grundsicherungsträgers gegen eine einstweilige Anordnung. Arbeitslosengeld II. Umzug junger Erwachsener unter 25 Jahren ohne vorherige Zusicherung. Hilfebedürftigkeit. Kündigung des Ausbildungsverhältnisses. keine Rückkehr in elterliche Wohnung
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine Beschwerde des Grundsicherungsträgers gegen einen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss, mit dem dieser zur Erbringung vorläufiger Leistungen verpflichtet worden ist, liegt ein Rechtsschutzbedürfnis auch dann vor, wenn sich der Regelungsgehalt der vom Sozialgericht erlassenen einstweiligen Anordnung durch Zeitablauf erschöpft und der Grundsicherungsträger die angeordneten Zahlungen auch tatsächlich erbracht hat.
2. Der Zusicherungsvorbehalt des § 22 Abs 2a S 1 SGB 2 gilt nicht für Personen, die ihren Lebensunterhalt nach dem Auszug aus der elterlichen Wohnung aller Voraussicht nach unabhängig vom Grundsicherungsträger bestreiten, weil dann keine neue Bedarfsgemeinschaft gegründet wird und damit die gesetzliche Regelung nach ihrem Sinn und Zweck nicht anwendbar ist (Anschluss an LSG Hamburg vom 24.1.2008 - L 5 B 504/07 ER AS = NZS 2008, 608 und SG Reutlingen vom 5.3.2008 - S 12 AS 22/08 ER).
Orientierungssatz
1. Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es im Allgemeinen nur dann, wenn das Rechtsmittel für den Rechtsmittelführer offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein (vgl BSG Urteil vom 24.8.2008 - B 9/9a SB 8/06 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 8).
2. Der Leistungsträger ist auch schon durch die Verpflichtung zur vorläufigen Leistungserbringung beschwert. Denn ein Hauptsacheverfahren kann erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen und für die Dauer eines solchen Verfahrens ist eine Rückforderung der vorläufig erbrachten Leistungen auch dann ausgeschlossen, wenn die einstweilige Anordnung zu Unrecht ergangen ist. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass ein nach der materiellen Rechtslage an sich gegebener Rückforderungsanspruch nicht mehr realisiert werden kann, wenn sich die Einkommens- oder Vermögensverhältnisse des Leistungsbeziehers im Laufe des Hauptsacheverfahrens maßgeblich verschlechtern.
3. Auch kann ein Rechtsschutzinteresse des Leistungsträgers an einer Überprüfung der einstweiligen Anordnung darin liegen, dass die erstinstanzlich entschiedene Rechtsfrage auch für zukünftige Leistungsansprüche des Antragstellers entscheidungserheblich ist.
4. Eine Auszubildende, die Leistungen nach dem SGB 2 bezieht und mit ihrer Mutter eine Bedarfsgemeinschaft bildet, ist vor Abschluss eines Mietvertrags über eine eigene Wohnung nicht verpflichtet, eine Zusicherung hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung einzuholen. Denn im Hinblick auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 S 1 SGB 2 ist der kommunale Träger - selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Zusicherung (§ 22 Abs 2a S 2 SGB 2) - aus Rechtsgründen gehindert, eine solche zu erteilen.
5. Eine in der Zeit zwischen dem Abschluss des Mietvertrags und dem Umzug eingetretene Änderung der Verhältnisse (Aufgabe der Ausbildung) ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich, auch wenn diese dazu führt, dass die Antragstellerin - entgegen der ursprünglichen Erwartung - nach ihrem Umzug im Leistungsbezug verblieben ist. Denn für eine solche Fallkonstellation trifft § 22 Abs 2a S 1 bis 3 SGB 2 keine Regelung.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 11.02.2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Die am 16.06.1990 geborene Antragstellerin lebte bis zum 31.10.2008 mit ihrer Mutter in einer gemeinsamen Wohnung. Die Bedarfsgemeinschaft bezog seit dem Jahr 2005 Leistungen nach dem SGB II. Am 23.08.2008 schloss die Antragstellerin einen Mietvertrag über eine 39 qm große Ein-Zimmer-Wohnung in der G., H.. Vereinbart wurde eine monatliche Miete in Höhe von 240,00 € zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 100,00 €. Beginn des Mietvertrags war der 01.11.2008. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags stand die Antragstellerin in einem Berufsausbildungsverhältnis, das am 01.08.2008 begonnen hatte. Das Ausbildungsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung der Antragstellerin zum 15.09.2008. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache bei der Antragsgegnerin am 16.09.2008 beantragte die Antragstellerin die Zusicherung zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach dem Umzug. Mit Bescheid vom 10.10.2...