Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Regelbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Umzug eines unter 25-Jährigen ohne Zusicherung des Grundsicherungsträgers. Anwendbarkeit der §§ 20 Abs 3 und 22 Abs 5 S 1 SGB 2 nur bei erstmaligem Auszug aus dem Elternhaus. Nichtanwendbarkeit auf Personen, die ihren Lebensunterhalt aller Voraussicht nach selbst bestreiten können
Leitsatz (amtlich)
1. Der Zusicherungsvorbehalt der §§ 22 Abs 5 S 1 SGB 2 und 20 Abs 3 SGB 2 gilt nicht für Personen, die ihren Lebensunterhalt nach dem Auszug aus der elterlichen Wohnung aller Voraussicht nach unabhängig vom Grundsicherungsträger bestreiten (Anschluss an LSG Celle-Bremen vom 29.10.2009 - L 15 AS 327/09 B ER, LSG Hamburg vom 24.1.2008 - L 5 B 504/07 ER AS = NZS 2008, 608 und SG Reutlingen vom 5.3.2008 - S 12 AS 22/08 ER).
2. Dies gilt auch dann, wenn das erste Erwerbseinkommen nicht im Auszugsmonat zufließt, sondern im Folgemonat.
3. Eine nach dem Abschluss des Mietvertrags und des Umzugs eingetretene Änderung der Verhältnisse (Kündigung des Arbeitsvertrages) ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich, auch wenn diese dazu führt, dass der Kläger - entgegen der ursprünglichen Erwartung - nach dem Umzug im Leistungsbezug verbleibt (Anschluss an LSG Celle-Bremen vom 29.10.2009 - L 15 AS 327/09 B ER).
Orientierungssatz
Einer Zusicherung nach den §§ 20 Abs 3 und 22 Abs 5 SGB 2 bedarf nur der erstmalige Auszug aus dem Elternhaus, nicht dagegen darauf folgende weitere Umzüge (vgl LSG Chemnitz vom 14.7.2010 - L 7 AS 175/10 B ER = juris RdNr 20 und vom 10.9.2009 - L 3 AS 188/08 = juris RdNr 39).
Tenor
I. Der Bescheid vom 04.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2017 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.09.2017 bis 28.02.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 und des Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu gewähren.
III. Der Beklagte trägt die angemessenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem bedürftigen, 1995 geborenen Kläger Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der vollen Regelleistung und seiner Kosten der Unterkunft und Heizung oder nur in Höhe von 80 Prozent der Regelleistung ohne Anerkennung seines Bedarfs für Unterkunft und Heizung nach den §§ 20 Abs. 3, 22 Abs. 5 SGB II zu gewähren ist.
Der als Flüchtling anerkannte Kläger war bereits ab Mai 2016 alleinstehend im Leistungsbezug des Jobcenters M-W, Bescheid vom 24.05.2016 (Bl. 12 der Gerichtsakte).
Er zog nach D... und fand nicht gleich eine Wohnung und war obdachlos. Er zog daraufhin zum Vater in dessen D... Wohnung, B Platz.
Der Kläger unterschrieb am 24.08.2017 einen Arbeitsvertrag und meldete sich am 04.09.2017 beim Jobcenter ab. Vereinbart waren wöchentlich 35 Stunden Arbeitszeit bei einem stündlichen Bruttolohn von 9,05 € (Bl. 9 f. der Gerichtsakte).
Der Beklagte hat den Leistungsbescheid vom 14.06.2017 am 07.09.2017 mit Wirkung vom 01.10.2017 wegen Wegfalls der Hilfsbedürftigkeit ganz aufgehoben (Bl. 16 der Gerichtsakte).
Der Kläger schloss am 29.08.2017 einen Untermietvertrag über ein WG-Zimmer in der K Str. in D... ab (Bl. 8 der Gerichtsakte) und zog am 01.09.2017 dort ein. Die Miete beträgt 230 € kalt zuzüglich 70 € Heiz- und Nebenkosten einschließlich Warmwasser, mithin insgesamt 300 € (Bl. 8 der Gerichtsakte).
Am 06.09.2017 erhielt der Kläger die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 06.09.2017 (Bl. 11 der Gerichtsakte).
Am 08.09.2017 beantragte der Kläger neuerlich Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 04.10.2017 gewährte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von 80 Prozent der Regelleistung ohne Anerkennung seines Bedarfs für Unterkunft und Heizung, weil er ohne Zusicherung des Beklagten in die neue Unterkunft gezogen sei. Der Kläger widersprach durch seinen Prozessbevollmächtigten. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 02.11.2017 die vorliegende Klage zum Sozialgericht Dresden und beantragte die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (S 52 AS 4260/17 ER). Er trägt vor, auf eine Zusicherung des Beklagten käme es nicht an, § 22 Abs. 5 SGB II sei hier nicht anzuwenden.
Zwischenzeitlich hat der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen und wird voraussichtlich 180,00 € bis 200,00 € monatlich verdienen. Das erste Gehalt wird zum 15.12.2017 zufließen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 04.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2017 zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der ungekürzten Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach dem Wortlaut der §§ 22 Abs. 5 und 20 Abs. 3 SGB II sei eine Zusicherung e...