Entscheidungsstichwort (Thema)
Überbrückungsgeldanspruch. Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zum Zweck der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit während der Vorbereitungszeit. Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe. Verkürzung der Förderungsdauer des Überbrückungsgeldes
Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitslos iS von § 119 Abs 1 SGB 3 ist auch ein Arbeitnehmer, der seine Existenzgründung als Selbständiger plant und bereits konkrete Schritte hierauf unternimmt (hier: Ankauf und Planung eines Vertragsarztsitzes). Derartige Aktivitäten zur Existenzgründung lassen für sich alleine noch nicht auf eine mangelnde subjektive Verfügbarkeit schließen.
2. Dem Anspruch auf Überbrückungsgeld nach § 57 SGB 3 aF steht es nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitslosigkeit durch Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag selbst herbeigeführt hat oder - ohne die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit - hätte (Anschluss an LSG Stuttgart vom 20.9.2007 - L 7 AL 4584/05; Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des Senats - L 12 AL 88/07 vom 10.7.2008). Die Ursache der Arbeitslosigkeit ist für das Tatbestandsmerkmal der Beendigung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit insoweit ohne Bedeutung.
3. Die Arbeitsaufgabe zum Zweck der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit führt gem § 57 Abs 3 S 3 bzw 4 SGB 3 aF zur Verkürzung der Förderungsdauer entsprechend der Dauer einer Sperrzeit.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 21.12.2006 und der Bescheid der Beklagten vom 7.2.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.3.2006 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Überbrückungsgeld für die ab 4.1.2006 aufgenommene selbständige Tätigkeit in gesetzlicher Höhe ab dem 23.2.2006 bis zum 3.7.2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger sieben Zehntel der außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung von Überbrückungsgeld für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Facharzt.
Der 1967 geborene Kläger ist Facharzt für Neurologie. Nach Ausbildung und Approbation im Jahre 1996 war er zunächst als Assistenzarzt an verschiedenen Krankenhäusern in I., J. und K. beschäftigt, zuletzt seit Oktober 2003 in unbefristeter Anstellung am L. Krankenhaus J.. Am 6.6.2005 teilte er der Beklagten - Agentur für Arbeit J. - seine Absicht mit, sein Beschäftigungsverhältnis zu kündigen und sich im Anschluss daran selbständig machen zu wollen. Ausweislich eines Vermerks der Beklagten über diese persönliche Vorsprache wurden dem Kläger dabei Unterlagen ausgehändigt und er wurde "über [die] aktuelle Rechtslage informiert". Am 6.7.2005 schloss der Kläger mit einem bisher in M. niedergelassenen Neurologen und Psychiater einen Vertrag über die Übernahme dieses Vertragsarztsitzes. Am 15.8.2005 meldete er sich (telefonisch) erneut bei der Beklagten und "fragte nach Überbrückungsgeld". Ausweislich des hierüber aufgenommenen weiteren Vermerks der Beklagten wurde er nunmehr darauf hingewiesen, dass er entsprechend der (neuen) Durchführungsanweisung Nr. 57.14 "kein Überbrückungsgeld mehr erhält, wenn er jetzt selber kündigt". Am 6.9.2005 schloss der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, wonach sein Beschäftigungsverhältnis zum 30.11.2005 endete. Am 11.10.2005 wurde er zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen, zugleich wurde ihm ein Vertragsarztsitz in M. zugewiesen. Im November 2005 beantragte der Kläger daraufhin bei der Beklagten zunächst die Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 1.12.2005. Die Beklagte stellte daraufhin mit bestandskräftigem Bescheid vom 29.11.2005 den Eintritt einer (zwölfwöchigen) Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis 22.2.2006 fest. Zur Zahlung von Arbeitslosengeld kam es nicht, da der Kläger am 4.1.2006 seine Vertragsarzttätigkeit an dem zugewiesenen Sitz in Gemeinschaftspraxis mit dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. (= Kläger des Parallelverfahrens L 12 AL 197/06) aufnahm.
Im Dezember 2005 hatte der Kläger bei der Beklagten ferner die Gewährung von Überbrückungsgeld für die Aufnahme der selbständigen ärztlichen Tätigkeit beantragt. Da es sich trotz Übernahme des vorbestehenden Vertragsarztsitzes aufgrund der räumlichen Verlegung im Stadtgebiet M. im Wesentlichen um eine Praxisneugründung handele, die sich erst etablieren müsse, sei anfangs nicht mit ausreichenden Einnahmen für seinen Lebensunterhalt zu rechnen. Dem Antrag fügte er u.a. zwei die Existenzgründung befürwortende Stellungnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachen - Bezirksstelle J. - und einer Steuerberatungsgesellschaft bei, sowie eine Kurzbeschreibung und diverse weitere Unterlagen zur Finanzierung des Vorhabens.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7.2.2006 ab. Überbrückungsgeld zur Existenzgründung könne nur gezahlt werden, wenn durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit eine Arbeitslo...