Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. adrenogenitales Syndrom mit Salzverlustsyndrom. Kinder und Jugendliche. GdB. Merkzeichen H
Leitsatz (amtlich)
1. Das adrenogenitale Syndrom - AGS - wird in seiner Verlaufsform als AGS mit Salzverlustsyndrom von geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Funktionseinschränkungen begleitet, die bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bei männlichen Kindern und Jugendlichen in der Regel die Feststellung eines Grades der Behinderung - GdB - nach dem SGB 9 von 60, bei weiblichen Kindern und Jugendlichen eines solchen von 70 und bei Hinzutreten von Fehlbildungen der äußeren weiblichen Genitalien von 80 erfordern.
2. Daneben haben Kinder und Jugendliche bei AGS mit Salzverlustsyndrom bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens H.
3. Die schwerbehindertenrechtlich gebotenen Feststellungen bei AGS mit Salzverlustsyndrom ergeben sich aus der Anwendung des Gleichbehandlungs- sowie des Differenzierungsgebotes aus Art 3 Abs 1 GG auf die nach Ziffern 26.15 und 22 Abs 4 Buchst k der Anhaltspunkte für jugendliche Diabetiker anzuwendenden Bestimmungen. Darauf, ob Ziff 22 Abs 4 Buchst k der Anhaltspunkte geringere Anforderungen an die Zuerkennung des Merkzeichens H stellt als § 33b EStG, kommt es hierbei nicht an, solange die Anhaltspunkte die Verwaltungspraxis bestimmen und auf der Grundlage von Ziff 2 Abs 4 Buchst k der Anhaltspunkte erfolgte Feststellungen des Merkzeichens H bei Diabetikern nicht als rechtswidrig gelten (Anschluss an BSG vom 29.8.1990 - 9a/9 RVs 7/89 = BSGE 67, 204 = SozR 3-3870 § 4 Nr 1).
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichtes Hannover vom 19. Februar 2003 wird aufgehoben und der Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 2. März 2000 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 13. Juli 2000 sowie des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 20. März 2001 wird abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 80 sowie die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs “Hilflosigkeit„ (Merkzeichen H) ab Antragstellung festzustellen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Erstfeststellungsverfahren über die Höhe des bei der Berufungsklägerin festzustellenden Behinderungsgrades sowie die Zuerkennung des Merkzeichens “H„.
Die Berufungsklägerin leidet seit ihrer Geburt am 10. Mai 1999 an einem adrenogenitalen Syndrom (AGS) in der Form eines adrenogenitalen Salzverlustsyndroms. Bei den adrenogenitalen Syndromen handelt es sich um eine erbliche Enzymopathie infolge einer gestörten Steroidbiosynthese mit vermehrter Bildung von Androgenen in der Nebennierenrinde. Beim adrenogenitalen Salzverlustsyndrom kommt eine Störung der Mineralkortikoidsynthese hinzu (vgl. zu alledem Pschyrembel, Med. Lexikon, zum Stichwort AGS). Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist insoweit in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen streitig, welchen Beaufsichtigungs- und Betreuungsaufwand die erforderliche Dauermedikation bei adrenogenitalem Salzverlustsyndrom verursacht und wie hoch die konkrete Gefahr einer Stoffwechselentgleisung zu veranschlagen ist.
Bei der Berufungsklägerin wegen ihres AGS einen Behinderungsgrad festzustellen, lehnte das Versorgungsamt Hannover auf Erstantrag vom 06. Juli 1999 mit Bescheid vom 02. März 2000 zunächst vollständig ab. Dieser Entscheidung lag eine beratungsärztliche Stellungnahme des Internisten Dr. F. vom 26. August 1999 zugrunde, nach der es sich um eine behandelbare Erkrankung handele, die im Alter von unter einem Jahr keinen Behinderungsgrad und keine Nachteilsausgleiche begründe. Den unter Hinweis auf die erforderliche Substitutionstherapie mit über den Tag verteilten Hormongaben erhobenen Widerspruch nahm das Versorgungsamt Hannover entgegen einer weiterhin ablehnenden Stellungnahme des Dr. G. vom 29. April 2000 nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Dr. H. vom 29. Mai 2000 zum Anlass, mit Teilabhilfebescheid vom 13. Juli 2000 für die Zeit ab 06. Juli 1999 (Antragstellung) einen GdB von 30 ohne weitere Merkzeichen festzustellen.
Dagegen erhob die Berufungsklägerin am 25. Juli 2000 erneut Widerspruch, auf den hin das Landesversorgungsamt zwei beratungsärztliche Stellungnahmen des Dr. I. vom 30. September 2000 und vom 26. Februar 2001 einholte. Während Dr. I. die mit Teilabhilfebescheid vom 13. Juli 2000 getroffene Entscheidung (GdB 30 ohne Merkzeichen) unter Hinweis auf Vergleichsfälle zunächst für zutreffend hielt, hielt er in seiner zweiten Stellungnahme einen GdB von wenigstens 20 nicht mehr für gegeben. Aufgrund einer Stellungnahme des leitenden Arztes Dr. J. vom 19. März 2001 wies schließlich das Landesversorgungsamt die gegen die Bescheide vom 02. März 2000 und 13. Juli 2000 erhobenen Widersprüche zurück, ohne darüber hinaus den zuerkannten Behinderungsgrad herabzusetzen.
Am 17. April 2001 hat die Berufungsklägerin Klage mit dem Ziel erhoben, den Berufungs...