Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs des Versicherten auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung
Orientierungssatz
1. Nicht erwerbsgemindert i. S. von § 43 Abs. 1 und 2 SGB 6 ist ein Versicherter, der noch in der Lage ist, täglich sechs Stunden Arbeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.
2. Ist die Wegefähigkeit des Versicherten gegeben und liegt auch keine atypische Leistungseinschränkung in Gestalt einer Summierung erheblicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so ist der Rentenversicherungsträger zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht verpflichtet.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 20. November 2018 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1965 geborene Klägerin erlernte nach ihren Angaben den Beruf der Krankengymnastin und war anschließend als Physiotherapeutin beschäftigt. Im Zeitraum 26. Februar 2010 bis 12. Februar 2012 bezog sie Krankengeld und Arbeitslosengeld. Vom 13. Februar 2012 bis 8. Februar 2013 absolvierte die Klägerin eine Weiterbildung zur Sozial- und Pflegeberaterin, ohne in diesem Beruf tätig gewesen zu sein. Nach kurzer Arbeitslosigkeit arbeitete sie im Zeitraum 11. März bis 22. April 2013 als sog. Verwaltungshelferin im Krankenhaus H.. Danach war die Klägerin (bis Juli 2013) ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet. Seit 1. August 2013 steht sie im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Daneben befindet sich im Versicherungskonto für das Jahr 2015 eine geringfügige Beschäftigung (Versicherungsverlauf vom 21. Januar 2020, Bl. 210 ff. der Gerichtsakte - GA).
Bei der Klägerin ist seit 13. Oktober 2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt (vgl. Bescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie Außenstelle I. vom 4. November 2010, Bl. 92 der Verwaltungsakte der Beklagten - VA).
Im April 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie J. untersuchen (vgl. Bl. 43 ff. des Gutachtenheftes der Beklagten - GH). Dieser stellte in dem ärztlichen Gutachten vom 9. Juni 2016 bei der Klägerin die Diagnosen Psychosomatose, Lumboischialgie bei fraglichem Bandscheibenvorfall L 5/S1, Zervikobrachialgie und Rhizarthorose fest. Aus orthopädischer Sicht könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus zwischen Sitzen, Gehen und Stehen vollschichtig verrichten. Tragen und Heben sollte auf Lasten bis 5 kg beschränkt werden. (Wirbelsäulen-)Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten seien zu vermeiden. Dies sei bei dem zuletzt ausgeübten Beruf als „Verwaltungshelferin“ mit Sicherheit gegeben. Die Beklagte ließ ein weiteres Gutachten bei der Ärztin für Innere Medizin, Psychotherapeutische Medizin, Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. am 22. Juni 2016 erstellen (Bl. 57 ff. GH). Diese stellte bei der Klägerin ein chronisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom, derzeit ohne neurologische Defizite, und ein Fibromyalgiesyndrom fest. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen in Tagesschicht arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten. Dabei seien Körperzwangshaltungen, ausschließliches Stehen oder Sitzen, Tragen und Heben mittelschwerer und schwerer Lasten und Arbeiten über Kopf zu vermeiden.
Auf die beiden Gutachten gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 ab (nach Bl. 98 ff. VA, Bl. 153 ff. VA).
Dagegen hat die Klägerin am 11. Mai 2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, dass es ihr durch ihre ständigen Schmerzzustände und die schwere depressive Episode unmöglich sei, ein „normales Leben“ zu führen sowie in der Arbeitswelt zurecht zu kommen. Sie sei auch in erheblichem Maße medikamentös versorgt. Das damalige durch das Gesundheitsamt erstellte, psychologische Gutachten könne nicht völlig falsch sein. Vielmehr bestehe bereits seit 2013 eine schwere depressive Episode, die ein vollschichtiges Leistungsvermögen ausschließe.
Das SG hat Befundberichte von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 18. August 2017, der Internistin und Rheumatologin Dr. M. vom 4. September 2017, bei der die Klägerin in den letzten zwei Jahren nur einmal am 24. April 2017 vorstellig geworden war, sowie von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 10. Oktober 2017, bei der sich die Klägerin einmalig am 15. September 2017 vorgestellt hat, eingeholt (Bl. 31 ff., 40, ff., 47 ff. GA). Anschließe...