Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Anschaffung eines iPads zwecks Teilnahme an einer iPad-Klasse. Sozialhilfe. Hilfe in sonstigen Lebenslagen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Kauf eines iPads zwecks Teilnahme an einer iPad-Klasse ist nicht vom Jobcenter gem § 21 Abs 6 SGB II als Zuschuss zu übernehmen, weil es sich um einen einmaligen Bedarf handelt, der prognostisch nicht in jedem Schuljahr wieder anfällt.
2. Eine atypische Lebenssituation liegt im Vergleich zu Haushalten knapp oberhalb des SGB II-Bedarfs und Beziehern von Kinderzuschlag nicht vor.
3. Der Bedarf ist nicht unabweisbar, wenn alternativ zum Sofortkauf über die Schule die Möglichkeit besteht, das iPad als Mietkauf bei 36 Monatsraten in Höhe von 11,00 Euro zu erwerben.
4. Eine analoge Anwendung des § 21 Abs 6 SGB II kommt nicht in Betracht, weil keine Regelungslücke besteht und dem Willen des Gesetzgebers widersprechen würde, wonach für diese Ausstattung die Schulverwaltungen zuständig sind.
5. Die Bevorzugung eines bestimmten Herstellers ohne Ausschreibung stellt einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht einer Schule dar, der dem Einsatz öffentlicher Mittel nach § 73 SGB XII entgegensteht.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgericht Hannover vom 5. Juli 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung für ein iPad zwecks Verwendung im Schulunterricht streitig.
Die am 2005 geborene Klägerin lebt mit ihrer 1972 geborenen Mutter und ihrem 2004 geborenen Bruder, dem Kläger im Berufungsverfahren L 7 AS 543/19, in einer Bedarfsgemeinschaft in F. zusammen, die seit Jahren beim Beklagten im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stehen. Ihnen wurde im Streitzeitraum Arbeitslosengeld II für Dezember 2016 in Höhe von 1.289 EURO monatlich und für Januar - Juli 2017 in Höhe von 1.334,42 EURO monatlich bewilligt (Bescheid vom 7. Dezember 2016). Die Klägerin erhielt ferner die Schülerbedarfspauschale in Höhe von 100 EURO gemäß § 28 Abs. 3 SGB II (Bescheide vom 15. Juni und vom 7. Dezember 2016).
Die Klägerin besuchte im Schuljahrgang 2016/2017 die 5. Klasse in der Oberschule G. Das didaktische Unterrichtskonzept der Oberschule G. beinhaltet den Einsatz eines Tablet-Computers des Herstellers Apple, der nicht von der Schule, sondern von den Eltern gestellt werden muss. Dabei bereitet Apple die iPads für eine Bildungseinrichtung vor, die in gesperrter Form bei der Schule ankommen, dort mit einer Geräteverwaltungssoftware aktiviert und mit den für den Schulgebrauch benötigten Apps „gepusht“ und einem Schüler zugewiesen werden. Für die Anwendungsverwaltung und Datenspeicherung setzt die Oberschule G. auf iClouds. Apple erlaubt Bildungseinrichtungen, speziell verwaltete Apple-IDs einzurichten, welche bis zu 200 GB kostenlosen iCloud-Speicherplatz bereitstellen. Die logistische Beschaffung und die technische Vorbereitung hat die Oberschule G. an die Gesellschaft für digitale Bildung mbH übertragen, die das iPad als Paket mit einer Schutzhülle und einer Versicherung anbietet. Bei Bedarf kann die Anschaffung der Geräte nach sozialen Kriterien gefördert werden. Neben dem Sofortkauf bietet die Gesellschaft für digitale Bildung mbH den Mietkauf bei 36 Monatsraten bzw. eine Geräteanmietung über eine Laufzeit von 24, 36 oder 48 Monaten an.
Im Februar 2017 beantragte die Klägerin die Erstattung der Kosten für ein am 1. Dezember 2016 erworbenes Apple iPad Air II 32 GB in Höhe von 380 EURO und legte eine Bestätigung der Schule vom 7. Februar 2017 über zwei Kaufvarianten vor. Dabei war das Kästchen zu dem Feld: “Kauf 380 € einmalig“ angekreuzt, während das weitere Feld: “Mietkauf 11 € monatlich (36 Monate)“ freigeblieben war. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. Februar 2017 und Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 den Antrag ab, weil die Klägerin die Ausstattung des persönlichen Schulbedarfs bereits erhalten habe und § 28 SGB II keine Rechtsgrundlage für darüberhinausgehende Aufwendungen vorsehe. Eine Kostenübernahme könne nur im Rahmen eines Darlehens gemäß § 24 SGB II erfolgen.
Am 5. Oktober 2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Hannover Klage erhoben und vorgetragen, eine Schwester ihrer Mutter habe das Geld für den Kauf darlehensweise zur Verfügung gestellt, die den Betrag zwischenzeitlich zurückerhalten habe. Die Variante des Mietkaufes habe ihre Mutter nicht gewählt, weil das teurer gewesen wäre. Die Möglichkeit, über die Gesellschaft für digitale Bildung ein günstigeres Tablet für SGB II-Empfänger zu erhalten, sei nicht bekannt gewesen. Schulbücher würden in der Klasse nicht mehr gebraucht. Stattdessen werde mit einer Guthabenkarte die Software über eine App zur Verfügung gestellt. Stifte und ä...