Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. Heranziehung von Verwaltungsrichtlinien zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. Ermessensausübung. abhängiges Beschäftigungsverhältnis von Ehrenbeamten ≪hier: des niedersächsischen Kreisnaturschutzbeauftragten und des niedersächsischen Kreisjägermeisters≫

 

Orientierungssatz

1. Verwaltungsrichtlinien sind allein im Bereich von Ermessensvorschriften zulässig, um bei der Ermessensausübung dem Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG Rechnung zu tragen und zu einer sog Selbstbindung der Verwaltung im Rahmen dieser Gleichbehandlung zu kommen. Dem hingegen können Verwaltungsrichtlinien grundsätzlich nicht zur Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen dienen, die von den Gerichten uneingeschränkt überprüft werden können (vgl BSG vom 24.9.1986 - 10 RKg 9/85 = SozR 5870 § 2 Nr 47). Die Frage des Vorliegens einer (sozialversicherungspflichtigen) abhängigen Beschäftigung ist jedoch keine Ermessensentscheidung eines Sozialleistungsträgers, sondern es handelt sich in § 7 Abs 1 SGB 4 um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen inhaltliche Ausfüllung von den Gerichten uneingeschränkt überprüfbar ist.

2. So genannte Ehrenbeamte können in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gemäß § 7 Abs 1 SGB 4 stehen, wenn sie dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und hierfür eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende pauschale Aufwandsentschädigung erhalten (vgl BSG vom 22.2.1996 - 12 RK 6/95 = SozR 3-2940 § 2 Nr 5, vom 23.7.1998 - B 11 AL 3/98 R = SozR 3-4100 § 138 Nr 11 und vom 4.4.2006 - B 12 KR 76/05 B).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. September 2005 insoweit aufgehoben, als das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten vom 20. November 2000, 14. Juni 2001 und 19. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2002 betreffend die Feststellung der Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) und des Beigeladenen zu 2) aufgehoben hat.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat für beide Rechtszüge die Gerichtskosten zu tragen und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie der Beigeladenen in vollem Umfang zu erstatten.

Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. bis 5. in deren Nebentätigkeiten für die Klägerin den Jahren 1999/2000.

Die Beigeladenen waren im maßgeblichen Zeitraum in ihren - vorliegend nicht streitbefangenen - Hauptberufen wie folgt tätig:

Beigeladener zu 1.:

Selbstständiger Diplomingenieur für Elektrotechnik und Inhaber eines Handwerksbetriebs

Beigeladener zu 2.:

Angestellter Schachtmeister bei einer Baufirma

Beigeladener zu 3.:

Land- und Gastwirt

Beigeladener zu 4.:

Selbstständiger Tierarzt

Beigeladener zu 5.:

Beamteter Förster der Klosterkammer H

In ihren vorliegend streitbefangenen Nebentätigkeiten waren die Beigeladenen für den klagenden Landkreis (Kläger) in folgenden Ehrenämtern tätig und erhielten folgende Aufwandsentschädigungen:

 Beigeladener zu 1.:

 Kreisbrandmeister

 ca. 1.400,- DM/Monat

 Beigeladener zu 2.:

 stellvertr. Kreisbrandmeister

 ca. 700,- DM/Monat

 Beigeladener zu 3.:

 Kreisjägermeister

 ca. 775,- DM/Monat

 Beigeladener zu 4.:

 stellvertr. Kreisjägermeister

 ca. 390,- DM/Monat

 Beigeladener zu 5.:

 Kreisnaturschutzbeauftragter

 ca. 600,-DM/Monat.

Nach einer von der Beklagten beim Kläger gemäß § 28 p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durchgeführten Betriebsprüfung erließ die Beklagte den Bescheid vom 20. November 2000, mit dem sie für die Beigeladenen zu 1. bis 5. für die Zeit vom 1. April 1999 bis zum 31. Oktober 2000 das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit daraus folgender Sozialversicherungspflicht feststellte, einen Nachforderungsbetrag von (zunächst) ca. 50.000,- DM festsetzte und zur Begründung im Einzelnen ausführte: Zum 1. April 1999 sei eine Rechtsänderung in Kraft getreten. Durch das seitdem geltende Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sei die Geringfügigkeitsgrenze auf 630,- DM angehoben worden und erfolge eine Zusammenrechnung von mehreren Beschäftigungen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um geringfügige oder um nicht geringfügige Beschäftigungen handele. Deshalb seien Einnahmen aus einer Haupt- und Nebenbeschäftigung nunmehr zusammenzurechnen. Dabei richte sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Feuerwehrführungskräfte nach den von der Rechtsprechung zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses entwickelten Kriterien. Eine Prüfung anhand dieser Kriterien habe bei den "Niedersächsischen Feuerwehrvereinen" ergeben, dass die Führungskräfte in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gegenüber den Kommunen bzw. Landkreisen stünden, was darin zum Ausdruck komme, dass den Kommunen/Landkreisen die Einrichtung, der Unterhalt sowie der Betrieb des Feuerwehrwesens...

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