Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Tatbestandsmerkmale und Vermutungsregelung. Beweislastumkehr
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Annahme einer zum Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft führenden Partnerschaft müssen nach dem Gesetzeswortlaut des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 drei Voraussetzungen gegeben sein, nämlich ein gemeinsamer Haushalt, eine Partnerschaft und der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
2. Das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt erfordert keine besonders ausgestaltete Wirtschaftsgemeinschaft, sondern es genügt regelmäßig das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung.
3. Die Abgrenzung zu einer reinen Wohngemeinschaft erfolgt nach der gesetzlichen Systematik nach dem Merkmal, dass Voraussetzung für das tatbestandliche Eingreifen der Vermutungsregel des § 7 Abs 3a SGB 2 das Bestehen einer Partnerschaft ist.
4. Der Verantwortungs- und Einstehenswille bezieht sich auf die Einstandsbereitschaft in sämtlichen not- und Wechselfällen des Lebens. Er ist nicht mit der Bereitschaft zu verwechseln, die Unterstützung des Partners mit dem Lebensnotwendigen auch vorrangig vor der Inanspruchnahme steuerfinanzierter Sozialleistungen zu erbringen.
5. Die Regelung des § 7 Abs 3a Nr 1 SGB 2 rechtfertigt nicht den Umkehrschluss, dass in Fällen noch nicht einjährigen Zusammenlebens eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft nicht angenommen werden kann.
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren vom Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zugunsten der Klägerin zu 2. und ihres 1989 geborenen Sohnes J. für den Zeitraum vom 18. Dezember 2009 bis zum 5. Mai 2010. Hintergrund ist die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob im genannten Zeitraum eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen den Klägern bestand.
Am 18. Dezember 2009 sprach die Klägerin zu 2. beim Beklagten vor und teilte mit, dass sie Leistungen nach dem SGB II benötige; zugleich gab sie an, dass sie bei ihrem Lebensgefährten, dem Kläger zu 1., wohne, der in Arbeit sei. In der Folgezeit reichten die Kläger ein gemeinsames Antragsformular auf die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II ein.
Da die Berechnung von Bedarf und berücksichtigtem Einkommen für die Monate Dezember 2009 und Januar 2010 ein übersteigendes Einkommen in Höhe von 75,23 € bzw. in Höhe von 129,20 € ergab, lehnte die für den Beklagten handelnde Stadt K. mit Bescheid vom 8. März 2010 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab und berücksichtigte hierbei die Kläger sowie den 1989 geborenen Sohn der Klägerin zu 2. als eine Bedarfsgemeinschaft. Mit einem offenbar von der Klägerin zu 2. handschriftlich erstellten Schreiben, das der Kläger zu 1. unterschrieben hat, legte dieser gegen den Bescheid Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: "Wir lebten zum Zeitpunkt der Antragstellung im Dezember 2009 noch nicht ein Jahr zusammen. Wir sind erst im April 2009 zusammen gezogen. Daher sind wir auch noch nicht als Bedarfsgemeinschaft anzusehen." Im Rahmen der Antragstellung hatten die Antragsteller erklärt: "Vor der Antragstellung lebten wir nur von dem Gehalt von Herrn B.. Leider reicht dies für uns drei nicht aus. Krankenversichert war ich bei meinem Ex-Mann", auch dieses Schreiben wurde handschriftlich von der Klägerin zu 2. erstellt.
Unter Bezugnahme auf diese Erklärung, auf die gemeinsame Einreichung des Antragsvordrucks, den auch der Kläger zu 1. - der den Antrag mit unterschrieben hat -unmissverständlich als Hilfesuchender mit der Klägerin zu 2. und deren Sohn gemeinsam gestellt habe, sowie unter Hinweis darauf, dass nur ein einziges Girokonto für eine gemeinsame Leistungsgewährung angegeben worden sei, wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2010 zurück. Als ergänzendes Indiz zog er hierbei heran, dass die Kläger am 5. Mai 2010 geheiratet hatten und die Anmeldung der Eheschließung bereits am 23. März 2010 erfolgt war. Zudem ergebe sich aus dem Umstand, dass nur der Kläger zu 1. und nicht die Klägerin zu 2. Widerspruch gegen die Leistungsablehnung eingelegt habe, dass der Kläger zu 1. für die Klägerin zu 2. in Not- und Wechselfällen des Lebens einstehe. Denn der Kläger zu 1. habe aufgrund seines Arbeitsverdienstes offensichtlich keinen Sozialleistungsanspruch als Einzelperson. In Würdigung aller Umstände spreche das Gesamtbild für ein Vorliegen einer "eheähnlichen Gemeinschaft" im Zeitraum bereits ab Antragstellung. Bei der Regelung nach § 7 Abs. 3 a SGB II handele es sich lediglich um eine Vermutungsregel, wobei jedoch die Dauer des Zusammenlebens letztlich n...