Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Vermutung nach § 7 Abs 3a Nr 1 SGB 2 nur bei qualifiziertem Zusammenleben. keine Widerlegung der Vermutung nach § 7 Abs 3a Nr 4 durch fehlende Indizien für eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft. langjährige persönliche Beziehung mit wirtschaftlichen Verflechtungen durch gemeinsames Wohneigentum
Orientierungssatz
1. Die Anwendung des § 7 Abs 3a Nr 1 SGB 2 ist auf solche Fälle zu begrenzen, in denen die jeweilige Eigenart des Zusammenlebens ein geeignetes Indiz für den vermuteten gegenseitigen Verantwortungs- und Einstandswillen bildet. Es reicht daher nicht aus, wenn der Arbeitsuchende länger als ein Jahr mit einer anderen Person in derselben Wohnung wohnt. Erforderlich ist vielmehr das Vorliegen eines qualifizierten Zusammenlebens wenigstens in Form einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft (vgl LSG Celle-Bremen vom 10.9.2007 - L 9 AS 439/07 ER und vom 16.10.2009 - L 9 AS 717/09 B ER).
2. Die nach § 7 Abs 3a Nr 4 SGB 2 bestehende Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ist nicht bereits dadurch widerlegt, dass es an einer indiziellen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ebenso wie an einer sexuellen Beziehung fehlt, wenn der insoweit selbständigen Lebensführung in einer langjährig gemeinsamen Wohnung eine über Jahrzehnte aufrechterhaltene persönliche Beziehung zugrunde liegt, neben der andere Beziehungen lediglich sporadisch und außerhalb des häuslichen Bereichs eingegangen werden, und die mit einer existenziellen Verflechtung der wirtschaftlichen Sphären der Partner durch die gemeinsame Finanzierung des Wohneigentums einhergeht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin für die Zeit ab 1. Juni 2007 unterhaltssichernde Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - zustehen, insbesondere darüber, ob ihrem Leistungsanspruch das Renteneinkommen eines Mitbewohners, des Herrn J. K., entgegensteht.
Die 1947 geborene Klägerin und der 1941 geborene Herr K. wohnen seit 1975 zusammen. 1979 zogen sie innerhalb ihres Wohnortes L. von der M. gemeinsam in eine Wohnung in der N. und von dort aus am 1. März 1986 in ein gemeinsam finanziertes und in hälftigem Teileigentum stehendes Eigenheim in der O. um. Die laufenden Ausgaben für die Finanzierung des Hauses, die Versorgung mit Energie und den Telefonanschluss finanzieren die Klägerin und Herr K. seither über ein gemeinsames Konto. Darüber hinaus verfügen beide auch über eigene Konten, für die dem jeweils Anderen eine Verfügungsvollmacht erteilt ist. Für die das Hauseigentum und den Hausrat betreffenden Versicherungen sind beide Versicherungsnehmer (Wohngebäude-, Hausrat- und Haftpflichtversicherung).
Bis Mai 2005 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld I. Anschließend erhielt sie von dem Beklagten bis 31. Mai 2007 unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass die Klägerin, die sich in ihrem Erstantrag vom 6. April 2005 als ledig und alleinlebend bezeichnet hatte, aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit (bis 2009, danach bestand ein Erwerbseinkommen aus einer Tätigkeit in einem Pflegeheim auf 400,00 € Basis) bedürftig sei. Den Fortzahlungsantrag der Klägerin für die Zeit ab 1. Juni 2007 lehnte der Beklagte indessen mit Bescheid vom 14. Juni 2007 ab, weil er nunmehr vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn K. ausging, der seinerzeit eine Rente der P. in Höhe von 1.705,75 € netto monatlich sowie eine monatliche Firmenpension der Q. in Höhe von 230,24 € netto bezog.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2007 zurück. Zur Begründung wies er darauf hin, dass nach § 7 Abs. 3 a SGB II ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen mit der Folge des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft gesetzlich vermutet werde, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen leben würden (Nr. 1) oder sie berechtigt seien, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen (Nr. 4). Im Fall der Klägerin seien beide Voraussetzungen erfüllt. Anlässlich von Hausbesuchen am 15. Mai und 26. September 2007 habe die Klägerin erklärt, dass sie Herrn K. seit mehr als 30 Jahre kenne und mit ihm auch einige Jahre lang als eheähnliche Gemeinschaft zusammengelebt zu haben. Beim Kauf des derzeit bewohnten Hauses habe aber diese Beziehung bereits nicht mehr bestanden. Keiner von beiden habe allerdings einen neuen Partner. Die Vermutung des § 7 Abs. 3 a SGB II sei hiernach nicht widerlegt. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass Partner - auch solche einer eheähnlichen Gemeinschaft - nach einer Trennung nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer weiter in derselben, eher beengten Wohnung zusammenleben würden und beide keine neuen Partnerschaften eingingen. Hin...