Die Verantwortungsgemeinschaft aus arbeitsrechtlicher Sicht


Die Verantwortungsgemeinschaft aus arbeitsrechtlicher Sicht

Der Gesetzgeber plant die Einführung der sogenannten Verantwortungsgemeinschaft. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller macht sich Gedanken über unterschiedliche Formen des Zusammenlebens und stellt fest, dass im Reformeifer selten jemand das Arbeitsrecht im Blick behält.

Dies ist bereits die achtundachtzigste Folge meiner Arbeitsrechtskolumne. Da nehme ich mir heraus, einmal ein klein wenig abzuschweifen. Es geht um die Familie. Und um das Arbeitsrecht.

Vor wenigen Tagen habe ich einem interessanten Feature im Deutschlandfunk gelauscht. Es ging darum, dass immer mehr Menschen nicht mehr den traditionellen Formen des Zusammenlebens folgen. Nahezu schon old fashioned sind die Partnerschaft oder die gleichgeschlechtliche Ehe – denn dies sind ja Eins-zu-eins-Beziehungen, nein, es ging um die Wohngemeinschaft. Nicht um die, in der man sich ganz einfach – aus vielerlei Gründen – eine größere Wohnung teilt, sondern um die Form der Wohngemeinschaft, in der man sich auch gegenseitige Fürsorge gewährt. Wahlfamilie, Verantwortungsgemeinschaft, wie immer man es nennen mag. Vielleicht kann das tatsächlich ein Modell sein, sicher nicht für alle, aber für etliche.

Verantwortungsgemeinschaft – ein rechtlicher Rahmen

Das Bundesjustizministerium (BMJ) hat für die Verantwortungsgemeinschaft gar Eckpunkte geschaffen. Im Wesentlichen liest man dort allerdings, was sie nicht ist: Keine Steuererleichterungsgemeinschaft, kein Aufenthaltsrechtsbeschaffer und sie bietet keinen besonderen Schutz wie die Ehe oder eine Partnerschaft. Was das allerdings in der Sozialversicherung bedeutet, darauf geht das BMJ nicht ein: vortrefflich kann man sich bei Nichtgewährung von Sozialleistungen streiten, ob für Personen, die in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft leben, keine oder nur eingeschränkte Sozialleistungen beansprucht werden können, wenn das Einkommen und Vermögen des anderen Partners (der anderen Partner?) in die Bedarfsberechnung miteinbezogen wird (§ 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II).


Annahme: Die Verantwortungsgemeinschaft wird der Partnerschaft oder der Ehe gleichgestellt

Aber wir wollten ja zum Arbeitsrecht kommen. Also durchlaufen wir ein paar arbeitsrechtliche  Alltagsszenarien – bei weitem nicht alle denkbaren:

Freistellung

Nach § 616 BGB gilt, dass ein Beschäftigter einen bezahlten Freistellungsanspruch hat, wenn er "für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert" ist. Also, um ein Beispiel zu geben, dann, wenn ein Mitglied der Verantwortungsgemeinschaft pflegebedürftig erkrankt. Bei Paaren, selbst mit Kindern, ist das eine einigermaßen kalkulierbare Größe: bei 1,36 Kindern liegt das "Gesamtrisiko" für den Arbeitgeber bei 2,36 Personen, die pflegebedürftig werden können. Wenn jeder davon alle zwei Jahre für zwei Tage pflegebedürftig wird, sind das gut 2 Tage im Jahr. Die Verantwortungsgemeinschaft aber könnte zum einen beliebig groß sein, zum anderen könnte der Zwist entfachen, welcher Arbeitgeber von welchem Verantwortungsgemeinschaftsmitglied die Freistellung gewähren muss. Nun, es ist vor allem eines: unpraktikabel. Wohl dem tarifgebundenen Arbeitgeber, der dies tariflich limitiert in seinem Tarifvertrag vorfindet.

Altersversorgung bei Trennung

Nichts Schlimmeres als die Berechnungen des Versorgungsausgleichs der Betriebsrente. Schon von großem Übel bei einer "normalen" Scheidung, führte es zu ausufernder Komplexität, wenn mehrere Verantwortungsgemeinschaftsmitglieder in eine solche Berechnung einbezogen werden müssten. Die Berechnung selbst mag noch angehen, aber statt des Beschäftigten und seinem (Ex-)Partner müssten nun alle Verantwortungsgemeinschaftsmitglieder in der Personalabrechnung mitgeführt werden und zwar bis zu deren Ableben. Und zwar beliebig viele. Arbeitgebern wäre dann dringend zu raten, die Altersversorgung ausschließlich für die Beschäftigten auszuloben und keine Hinterbliebenenversorgung anzubieten – dann bliebe ihnen zumindest dieses Risiko der Über-Administration erspart.

Sozialauswahl

Bei der betriebsbedingten Kündigung sind nach § 1 Abs. 3 KSchG die Unterhaltspflichten bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Das bedeutet: Arbeitgeber laufen in die Unkenntnis-Falle. Sind Partner/Ehegatten und Kinder häufig (nicht immer) der Personalakte zu entnehmen, so finden sich die Verantwortungsgemeinschaftsmitglieder dort ganz sicher nicht, weder deren Anzahl und erst recht nicht ihre Namen. Die Nichtberücksichtigung würde aber die Sozialauswahl zunichtemachen, mit den bekannten Domino-Effekten.

Abfindung im Sozialplan

Und wenn wir schon bei betriebsbedingten Kündigungen sind: häufig genug sind die Unterhaltsverpflichtungen auch als Rechenfaktor bei einer Sozialplanabfindung zu berücksichtigen. Muss ich dieses Thema hier weiter ausführen? Sie ahnen, wo dies hinführen würde.

Verantwortungsgemeinschaft – (k)ein Zukunftsmodell?

Wenn ich die Einführung der Verantwortungsgemeinschaft noch erlebe, dann bin ich vermutlich bereits in Rente. Gut so. Denn die Herausforderungen, die solch ein Modell mit sich bringt, sind gigantisch – eine Herkulesaufgabe auch für den Gesetzgeber. Zum Beispiel wäre denkbar, die Freistellungsansprüche näher zu kodifizieren und zu limitieren. Die Regelungen der betrieblichen Altersversorgung zu vereinfachen. Im Kündigungsschutz Unterhaltspflichten auf leibliche oder angenommene Kinder zu beschränken. Und vieles mehr.

Was das bedeutet? Nun, entweder regelt der Gesetzgeber die Verantwortungsgemeinschaft als ehe- oder partnerschaftsähnlich und lässt uns, wie – leider schon gewohnt – als Arbeitsrechtler im Regen stehen. Oder er regelt tatsächlich alle erforderlichen Punkte mit. Dies allerdings ist wohl mehr als unwahrscheinlich.

Vielleicht lässt er aber auch ganz die Finger von diesem Modell. Für die etlichen wirklich verantwortungsvoll in einer solchen Gemeinschaft Lebenden täte mir das ernsthaft leid. Aber für uns Arbeitsrechtler wäre das besser so!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.


Tipp: Im Sonderheft "Kanzleien im Arbeitsrecht" des Personalmagazins finden Sie eine aktuelle Trends und eine Übersicht über arbeitsrechtliche Berater. Hier können Sie das Blätter-PDF herunterladen.


 

Schlagworte zum Thema:  Familie, Arbeitsrecht, Gesetzgebung