Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Kellnerin in einem arbeitsteilig organisierten gastronomischen Betrieb. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
Eine Kellnerin, die in einem arbeitsteilig organisierten gastronomischen Betrieb zum Stundenlohn weisungsgebunden eingesetzt wird, steht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 26. April 2023 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen Kosten der Beigeladenen aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die erstinstanzlich ausgesprochene Aufhebung ihres im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV erlassenen Beitragsnacherhebungsbescheides. Mit diesem hatte die Beklagte den Kläger zur Nachentrichtung von Beiträgen zu allen Zweigen der Sozialversicherung und Umlagen in Höhe von 3.140,99 € einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 155 € aufgrund der Heranziehung der Beigeladenen zu 1. im Prüfzeitraum 2018 und 2019 als Servicekraft im klägerischen Restaurantbetrieb herangezogen.
Im Juni 2012 hatte die Beigeladene (soweit nicht anders ausgewiesen wird im Folgenden unter der Beigeladenen jeweils die Beigeladene zu 1. verstanden) bei der Gemeinde M. ein Gewerbe für die Tätigkeit „Gastronomieservice“ angemeldet (Bl. 27 GA).
Im streitbetroffenen Zeitraum war die Beigeladene als Versicherungskauffrau hauptberuflich mit 28,5 Wochenarbeitsstunden bei der N. und O. Versicherungsmakler GmbH angestellt; der im streitbetroffenen Zeitraum maßgebliche Änderungsarbeitsvertrag vom 1. Februar 2017 sah wöchentliche Arbeitszeiten an Montag, Dienstagen und Donnerstagen jeweils von 7.30 Uhr bis 13 Uhr von 14.30 bis 16.30 Uhr und mittwochs von 8 bis 14 Uhr vor (Bl. 136 GA). Daneben nahm sie als Arbeitnehmerin nebenberuflich einen sog. Minijob, also eine entgeltgeringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV, bei dem Arbeitgeber P. N. wahr.
Neben diesen Beschäftigungen arbeitete die Beigeladene auch in Restaurantbetrieben, und zwar insbesondere auch im Betrieb des Klägers. Für den Kläger arbeitete sie als Servicekraft, also als Kellnerin bzw. Serviererin, aufgrund mündlicher Absprachen zu jeweils gesondert einzeln mündlich vereinbarten Arbeitszeiten. Für diese Mitarbeit im klägerischen Restaurantbetrieb erhielt sie einen Stundenlohn von 14 €.
Daneben beschäftigte der Kläger in seinem Betrieb auch angestellte Servicekräfte (jedenfalls teilweise auch in Vollzeit).
Der Einsatz der Beigeladenen wurde von ihm so „eingeplant“ (vgl. Schriftsatz vom 2. August 2023), dass zeitgleich mindestens eine weitere vollangestellte Servicekraft tätig war. „Situationsabhängig“ wies der Kläger bzw. in seinem Auftrag dessen Ehefrau, der Beigeladenen während ihrer Einsatzzeiten jeweils Tische und Bereiche zu, für die sie die Aufgaben einer Servicekraft wahrzunehmen hatte.
Die Zeiten ihrer Mitwirkung stellte die Beigeladene dem Kläger monatlich mit dem vereinbarten Stundensatz von 14 € in Rechnung (vgl. beispielsweise Bl. 22 VV: Rechnung für Januar 2019, 45,5 Stunden zu jeweils 14 €, entsprechend insgesamt 637 €).
Im Einzelnen zahlte der Kläger auf dieser Basis an die Beigeladene folgende Beträge als Entgelt für ihre Tätigkeit als Servicekraft in seinem Restaurant:
Für den Zeitraum August bis November 2018: 2.016 €, für Januar bis Oktober 2019 4.480 € und für Dezember 2019 623 €.
Ausgehend von einem abhängigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zog die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 30. März 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2020 zur Nachentrichtung von Beiträgen zu allen Zweigen der Sozialversicherung und von Umlagen U1, U2 und UI in Höhe von insgesamt 3.140,99 € einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 155 € heran (vgl. wegen der Einzelheiten der Berechnungen Bl. 92 ff. VV).
Mit der am 28. August 2020 erhobenen Klage hat der Kläger demgegenüber geltend gemacht, dass die Beigeladene in seinem Betrieb nicht als Beschäftigte, sondern als „Kleingewerbeunternehmerin“ eingesetzt worden sei. Die Beigeladene habe auch anderweitig „parallel und ungebunden“ neben ihren abhängigen Beschäftigungen als selbständige Unternehmerin im Gastronomiebereich gearbeitet. Die Beigeladene hätte tatsächlich die vereinbarten Dienste nicht antreten müssen. Dies hätte rechtlich allenfalls zur Konsequenz gehabt, dass der Kläger auf ihre Dienste in der Folgezeit nicht mehr zurückgegriffen hätte. Die „Umsetzung der vorgegebenen Betriebsabläufe“ bringe keine Weisungsgebundenheit zum Ausdruck. Die Beklagte „trimme und verkürzte“ den Sachverhalt, um diesen in „vorgegebene rechtliche Klischees“ einzupassen.
Mit Urteil vom 26. April 2023, der Beklagten zugestellt am 10. Mai 2023, hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid vom 30...