Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensgegenstand. Erlass eines zweiten rechtswidrigen Widerspruchsbescheids während des Gerichtsverfahrens. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf wegen unabweisbarem laufenden besonderen Bedarf. Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente bzw OTC-Präparate
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Befugnis des Jobcenters, während des Gerichtsverfahrens einen zweiten Widerspruchsbescheid zu erlassen.
2. Zum Anspruch auf Übernahme von Kosten für nicht verschreibungspflichtige, homöopathische Medikamente (OTC-Präparate) durch den SGB II-Leistungsträger nach § 21 Abs 6 SGB II.
3. Übersteigen die monatlich geltend gemachten Kosten nicht verschreibungspflichtiger Medikamente den vom Regelsatz für Gesundheitspflege umfassten Betrag deutlich, kommt die Kostenübernahme nach § 21 Abs 6 SGB II nur bei einer nachgewiesenen medizinischen Indikation in Betracht (Anschluss an LSG München vom 9.3.2017 - L 7 AS 167/17 B = ZFSH/SGB 2017, 474).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. September 2016 abgeändert und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 25. März 2014 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht für den Leistungsabschnitt Dezember 2012 bis Mai 2013 die Kostenübernahme für nicht-verschreibungspflichtige Medikamente und alternativmedizinische Heilmittel und die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.
Der 1954 geborene Kläger erhielt von Januar 2005 bis Dezember 2017 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II) von dem Beklagten. Infolge der Bewilligung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) durch die Deutsche Rentenversicherung Bund schied er zum Januar 2018 gem. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II in der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Fassung aus dem SGB II-Bezug aus.
Mit Bescheid vom 2. November 2012 gewährte der Beklagte ihm 783,54 € für Dezember 2012 sowie monatlich 832,60 € für die Zeit von Januar bis Mai 2013. Als Bedarf berücksichtigte er neben dem Alleinstehendenregelsatz (374,- €) und einem Mehrbedarf für die Bereitung von Warmwasser (8,60 €) Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 400,94 € für Dezember 2012 sowie monatlich 450,- € für Januar bis Mai 2013. Der Betrag von 450,- € entsprach dabei den tatsächlichen Unterkunftskosten (294,- € Grundmiete zzgl. 82,- € Betriebs- und 74,- € Heizkostenvorauszahlung), die der Beklagte an sich auch durchgehend für anerkennungsfähig erachtete. Im Dezember 2012 rechnete er darauf allerdings ein vom Vermieter bei der Miete für November 2012 gutgeschriebenes und im Kalenderjahr 2011 erwirtschaftetes Betriebskostenguthaben i.H.v. 49,06 € an.
Am 19. November 2012 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid und machte die Übernahme von 21,94 € für Medikamente und 18,82 € für eine Heilmittelverordnung geltend. Hierzu verwies er jeweils auf die Anlagen zu seinem Widerspruchsschreiben, die in der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten aber nicht enthalten sind.
Im Laufe des Widerspruchsverfahrens setzte der Beklagte die zum Januar 2013 erfolgte Regelsatzanpassung um und hob die Leistungsgewährung für die Zeit ab Januar 2013 mit Änderungsbescheid vom 24. November 2012 auf zunächst monatlich 840,60 € an (382,- € Regelsatz zzgl. 8,60 € Mehrbedarf für die Bereitung von Warmwasser und 450,- € Unterkunftskosten). Die dabei noch versäumte Angleichung des Mehrbedarfs für Warmwasser holte er mit weiterem Änderungsbescheid vom 5. Dezember 2012 nach und bewilligte jetzt ab Januar 2013 monatlich 840,79 € (382,- € Regelsatz zzgl. 8,79 € Mehrbedarf für die Bereitung von Warmwasser und 450,- € Unterkunftskosten). Gegen beide Bescheide leitete der Kläger ebenfalls selbstständige Widerspruchsverfahren ein. Ohne, dass sich aus der Aktenlage ein Anlass hierfür erschließt, regelte der Beklagte den gesamten Bewilligungsabschnitt sodann mit einem dritten Änderungsbescheid vom 17. Mai 2013 noch einmal neu. Zur Veränderungen der Leistungshöhe kam es aber nicht.
Mit Bescheid vom 19. März 2013 wies er den Widerspruch gegen den Ausgangsbescheid vom 2. November 2012 zurück. Dabei setzte er sich jedoch nicht mit dem Vorbringen des Klägers bei Erhebung des Widerspruchs auseinander, sondern verhielt sich einzig zu der aus seiner Sicht gegebenen Rechtmäßigkeit der Guthabenanrechnung.
Am 15. April 2013 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Bremen erhoben.
Zur Begründung hat er zusammengefasst ausgeführt, dass er sich - entgegen der Auffassung des Beklagten - gar nicht über die Anrechnung des Guthabens beschwere. Vielmehr gehe es ihm weiterhin um die Kosten für Medikamente. Hierbei handele es sich vorwiegend um homöopathische Präparate, da er herkömmliche Arzneimittel nicht vertr...