Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Schwerbehinderteneigenschaft. Krebserkrankung. Zeitraum vor der Diagnose. kein GdB ohne Teilhabeeinschränkung. Unkenntnis einer lebensgefährlichen Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Gemäß Teil B Nr 1 c VMG beginnt die Heilungsbewährung ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die diesbezüglichen pauschalen Einzel-GdB sind auf den Zustand nach Beseitigung der Geschwulst bezogen. Eine hieraus hergeleitete Schwerbehinderteneigenschaft zu einem Zeitpunkt vor der Diagnosestellung, bei Fehlen nennenswerter körperlicher Beschwerden und psychischer Begleiterscheinungen, wenn der Erkrankte von der potentiell lebensgefährlichen Erkrankung noch nichts weiß, wäre mit dem Prinzip der Bemessung des GdB nach dem Maß der Teilhabebeeinträchtigung nicht zu vereinbaren.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, dessen Schwerbehinderteneigenschaft mittlerweile seit Dezember 2017 anerkannt ist, begehrt nunmehr noch die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 bereits ab dem 30. April 2017. Dies begründet er insbesondere mit einem zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht diagnostizierten, aber seiner Auffassung nach bereits nachweisbar vorliegenden Prostatakarzinom, bei nachfolgend im Dezember 2017 gesicherter Diagnosestellung.
Nachdem zunächst die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens G Klagegegenstand gewesen sind, hat der Beklagte nach Hinzutreten eines Prostatakarzinoms mit Teilanerkenntnis vom 14. Januar 2019 einen GdB von 70 - der zuvor mit 40 festgestellt gewesen ist - ab dem 10. Dezember 2017 anerkannt.
Gemäß Abhilfebescheid vom 5. Juli 2013 war der GdB des 1953 geborenen Klägers mit 40 aufgrund der Funktionsstörung „somatoforme Schmerzstörung mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Atembeschwerden und Neigung zu Bluthochdruck“ festgestellt worden. Vorausgegangen war ein Erstfeststellungsantrag des Klägers vom 14. Juli 2009 mit nachfolgenden umfangreichen medizinischen Ermittlungen; eine Bandscheibenoperation der Lendenwirbelsäule (LWS) wurde zunächst vom Ärztlichen Dienst mit einem Einzel-GdB von 20, später einem solchen von 30 unter Einbeziehung eines Schmerzsyndroms bewertet. Zwischenzeitliche Anträge des Klägers, der sich u.a. vom 18. September bis 9. Oktober 2012 aufgrund von Beschwerden des Bronchialsystems auf J. in Rehabilitationsbehandlung befand, auf Neufeststellung blieben ohne Erfolg. Ein überempfindliches Bronchialsystem wurde seitens des Ärztlichen Dienstes des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 eingeschätzt. Aufgrund eines 2013 gestellten Neufeststellungsantrages erfolgte schließlich die Anhebung des GdB auf 40. Im Rahmen eines weiteren Neufeststellungsverfahrens differenzierte der Ärztliche Dienst des Beklagten im März 2016 den bereits festgestellten GdB von 40 dahingehend aus, dass je ein Einzel-GdB von 20 hinsichtlich einer Funktionsstörung der Wirbelsäule, einer Lungenfunktionseinschränkung bei chronischer Bronchitis sowie der psychischen Situation nebst somatoformer Schmerzstörung vorgeschlagen wurde.
Am 15. August 2016 stellte der Kläger den Neufeststellungsantrag, der den Ausgangspunkt des hier vorliegenden Rechtsstreits bildet und mit dem er zunächst auch das Merkzeichen G beantragte. Der behandelnde Hausarzt, der Internist Dr. K., erstellte - wie bereits mehrfach zuvor - einen Befundbericht. Der Kläger habe eine Bluthochdruckerkrankung, eine Atemwegserkrankung und eine Erkrankung der Halswirbelsäule (HWS). Im Bereich der LWS bestehe eine fortgeschrittene Spondylarthrose, neurologische Ausfälle fänden sich hier nicht. Demgegenüber sei die Situation der HWS für den Kläger schmerzhaft, auch nachts. Hinzu kämen Stoffwechselerkrankungen. Der Ärztliche Dienst des Beklagten - Dr. L. - sah aufgrund dieses Befundberichts in seiner Stellungnahme vom 18. Oktober 2016 keinen Anlass zu einer Neubewertung. Ergänzend berichtete Dr. K. unter dem 29. September 2016 von einer Verschlimmerung der Lungenerkrankung und einer Verschlechterung des kardialen Krankheitsbildes des Klägers. Nach erneuter Konsultation des Ärztlichen Dienstes lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 2. November 2016 ab.
Der Kläger legte Widerspruch ein und wurde hierbei durch den Internisten Dr. K., seinen Hausarzt, unterstützt. Dieser äußerte die Auffassung, es müsse eine Schwerbehinderung anerkannt werden und verwies auf die Verschlimmerung der Herz-Kreislauf-Situation bei fortgeschrittener chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung. Erschwert werde die Behandlung durch die Bluthochdruckerkrankung des Klägers, die eine Behandlung mit Betablockern verhindere. Zudem habe der Bluthochdruck zu einer tachykarden Rhythmusstörung geführt. Der Ärztliche Dienst des Beklagten nahm in der Folge die Funktionsstörung „Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen“ m...