Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Neufeststellung nach Heilungsbewährung. GdB von 50. Entziehung der Schwerbehinderteneigenschaft. sozialgerichtliches Verfahren. Amtsermittlung. Begutachtung von Amts wegen. kein Recht auf Anwesenheit einer Begleitperson bei der Untersuchung. Entscheidungskompetenz des Sachverständigen. verweigerte Mitwirkung. Vereitelung der Gutachtenerstattung. kein Recht auf Gutachterauswahl. Ablehnung eines Antrags nach § 109 SGG. Beweislastumkehr zugunsten der Behörde

 

Orientierungssatz

1. Wenn es ein Sachverständiger für erforderlich hält, die Untersuchung in Abwesenheit dritter Personen vorzunehmen, bewegt er sich vorbehaltlich besonderer Umstände im Bereich seiner Fachkompetenz.

2. Verweigert der Kläger eine zur Neufeststellung des Grades der Behinderung (hier: nach Ablauf der Heilungsbewährung) erforderliche Untersuchung durch einen gerichtlichen Sachverständigen und wird dadurch die von Amts wegen angestrengte Aufklärung der für die GdB-Bewertung erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vereitelt, kann zugunsten der Behörde eine Umkehr der Beweislast eintreten.

3. Hat der Beteiligte eine von Amts wegen eingeleitete Gutachtenerstattung vereitelt, kann er nicht über den Weg des § 109 SGG einen von ihm ausgewählten Sachverständigen als nunmehr alleinigen Gutachter durchsetzen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.10.2022; Aktenzeichen B 9 SB 1/20 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens, im Übrigen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf nunmehr 30 wegen eingetretener Heilungsbewährung nach Operation eines großen und potenziell bösartigen Tumors in der rechten Schulter, der sich letztlich als gutartig herausgestellt hat. Als wesentlichen und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang ungeklärten Aspekt des vorliegenden Falles hatte der Senat hierbei zu beurteilen, ob der Kläger eine Anwesenheit einer Vertrauensperson, hier seiner Tochter bzw. seines Sohnes, im Rahmen der Untersuchung beim gerichtlich bestellten orthopädischen Sachverständigen verlangen kann.

Am 8. Juni 2011 stellte der 19XX geborene Kläger erstmals einen Antrag auf Feststellung eines GdB beim Beklagten, nachdem ein Tumor in seiner rechten Schulter festgestellt worden war, der am 29. Juni 2011 im Universitätsklinikum J. operativ entfernt wurde. Aufgrund der Gutartigkeit des Tumors lehnte der Beklagte den Antrag zunächst ab. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren verwies der Kläger u. a. auf eine eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der Schulter als Operationsfolge, was nach weiteren Ermittlungen des Beklagten zu einer Teilabhilfe und Feststellung eines GdB von 20 gemäß Bescheid vom 14. März 2012 führte. Das nach ablehnender Widerspruchsentscheidung nachfolgende Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück - S 34 SB 341/12 - führte gemäß Ausführungsbescheid vom 24. Mai 2013 zur Feststellung eines GdB von 50 ab Juli 2011. Die Entscheidung wurde auf die Funktionsbeeinträchtigung „Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter im Stadium der Heilungsbewährung“ gestützt. Das Gericht hatte seinerzeit hinsichtlich der Bösartigkeit des Tumors beim Universitätsklinikum J. - Prof. Dr. K. - nachgefragt, der unter dem 15. März 2013 die Einschätzung hinsichtlich der Malignität als schwierig bezeichnete. Da in 10 Prozent der Fälle Metastasen auftreten könnten, müsse aufgrund des klinischen Verlaufs dieser Tumor durchaus als potenziell bösartig angesehen werden, zumal er im Fall des Klägers sehr groß gewesen sei. Diese Stellungnahme führte zum seinerzeit abgegebenen Anerkenntnis des Beklagten nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes.

Im Juni 2015 griff der Beklagte das Verfahren von Amts wegen wieder auf. Der zum Gas- und Wasserinstallateur ausgebildete Kläger hatte sich zwischenzeitlich im November 2012 in L. und alsdann nochmals im November 2015 in M. jeweils in einer dreiwöchigen stationären, neurologisch orientierten Rehabilitationsmaßnahme befunden und hatte mittlerweile eine vollschichtige Berufstätigkeit in der Funktion als Energieberater bei der Stadt N. aufgenommen. Im Rehabilitationsbericht aus 2015 wurde ausgeführt, handwerkliche Tätigkeiten seien dem Kläger nicht mehr möglich. Die psychische Stimmungslage wurde als ausgeglichen beschrieben. Rehabilitationsziele der Maßnahme im November 2015 waren insbesondere die Verbesserung und der Erhalt der Beweglichkeit des rechten Armes sowie eine Schmerzreduktion. Im Rahmen der Maßnahme konnte eine bessere Mobilisierung der Schulter erreicht werden, die Kraft im rechten Arm nahm zu und die Schmerzen wurden etwas besser. Der Kläger wurde arbeitsfähig für seine neue Tätigkeit entlassen.

Nachdem eine Befragung des Ärztlichen Dienstes nunmehr noch die Berechtigung eines Einzel-GdB ...

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