Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Verschuldenszurechnung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vertretung der Bedarfsgemeinschaft. fehlende hinreichende Bestimmtheit des Verwaltungsakts. keine Heilungsmöglichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das im Rahmen des § 38 SGB 2 vertretene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft muss ein Verschulden des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht gegen sich geltend lassen.

2. Eine pauschale Teilaufhebung aller Bescheide für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrages entspricht nicht den Bestimmtheitsanforderungen des § 33 Abs 1 SGB 10 (Anschluss an BSG vom 15.8.2002 - B 7 AL 66/01 R = SozR 3-1500 § 128 Nr 15).

 

Orientierungssatz

Der Mangel der hinreichenden Bestimmtheit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides kann nicht gem § 41 SGB 10 bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens geheilt werden, da es sich nicht lediglich um einen bloßen Verfahrens- oder Formfehler handelt, sondern um einen Fall der materiellen Rechtswidrigkeit (vgl BSG vom 13.7.2006 - B 7a AL 24/05 R = SozR 4-1200 § 48 Nr 2).

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden nur: "Beklagter") für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 (Rückforderungsbetrag: 6.049,62 EURO).

Die 1956 geborene Klägerin und ihr 1958 geborener Lebensgefährte J. bezogen in dem streitbefangenen Zeitraum Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Klägerin war in diesem Zeitraum als ordentliche Studentin an der Universität K. im Fach Sozialpädagogik immatrikuliert. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezog sie nicht. Neben ihrem Studium ging sie einer selbstständigen Tätigkeit als Yoga-Lehrerin nach; das hieraus erzielte Einkommen wurde auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet. Das Studium der Klägerin war dem Beklagten zunächst nicht bekannt. Bei der Erstantragstellung am 29. Oktober 2004 hatte der Lebensgefährte, der zu diesem Zeitpunkt Arbeitslosenhilfe bezog, die Frage in dem Antragsformular (Hauptvordruck Seite 2), ob die Klägerin Auszubildende ("auch in Schulausbildung") sei, verneint. Erst im Rahmen eines am 11. Dezember 2006 mit der Klägerin geführten Telefongesprächs erhielt der Beklagte von der Immatrikulation an der Universität K. Kenntnis. Der Beklagte hörte die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 8. Januar 2007 zu einer beabsichtigten Rückforderung des gezahlten Arbeitslosengeldes II an. Hierzu äußerte sich die Klägerin dahingehend, dass der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II von ihrem Lebensgefährten gestellt worden sei. Sie sei davon ausgegangen, dass sie in diesem Zusammenhang lediglich ihr Einkommen (aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Yoga-Lehrerin) offen zu legen habe, wie dies in den Jahren zuvor für die Anträge ihres Lebensgefährten auf Arbeitslosenhilfe erforderlich gewesen sei. Dass sie über das Konstrukt der "Bedarfsgemeinschaft" selbst zur Bezieherin von Arbeitslosengeld II werde, sei ihr anfänglich nicht klar gewesen. Auch habe sie nicht gewusst, dass ein Studium dem Bezug von Arbeitslosengeld II entgegenstehe. Das "Merkblatt für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" sei ihr nie ausgehändigt worden. Auch sei sie bei den Auskünften, die von ihr erbeten worden seien, niemals danach gefragt worden, ob sie studiere oder nicht.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Februar 2007 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass "die Entscheidungen vom 16. Dezember 2004, 27. April 2005, 12. August 2005, 4. Januar 2006, 13. April 2006, 28. November 2006" über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 1. Januar 2005 "teilweise in Höhe von 6.054,48 EURO" zurückgenommen würden. Nach § 7 Abs. 5 SGB II seien "Personen mit grundsätzlichem BAföG-Anspruch" vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil die Klägerin in ihrem Antrag vom 29. Oktober 2004 zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X). In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 sei Arbeitslosengeld II (Regelleistung) in Höhe von 2.797,92 EURO zu Unrecht gezahlt worden. Darüber hinaus seien die in diesem Zeitraum gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 3.256,56 EURO von der Klägerin zu erstatten. Es ergebe sich somit eine Gesamtforderung in Höhe von 6.054,48 EURO.

Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin über ihre Ausführungen im Anhörungsverfahren hinaus geltend, dass ihr Lebensgefährte in seinem ALG II-Erstantrag in Bezug auf ihre Person zwar die Frage "Auszubildender (...

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