Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Konzept. Ermittlung der Mietobergrenze. Produkttheorie. Bestandsmiete. durchschnittlicher Quadratmeterpreis

 

Orientierungssatz

1. Ein Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 muss geeignet sein, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiederzugeben (vgl BSG vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R). Es muss zugleich den Zielen und Vorgaben des SGB 2 entsprechen. Hierzu ist erforderlich, dass das Konzept sicherstellt, dass alle Arbeitsuchenden jederzeit auf dem örtlichen Wohnungsmarkt eine unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls kostenangemessene, bedarfsgerechte menschenwürdige Unterkunft anmieten können (vgl BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = NVwZ 2005, 1197).

2. Es ist nicht zu beanstanden, wenn zur Ermittlung der Mietobergrenzen eine Aufteilung nach Segmenten nicht vorgenommen wird, sondern lediglich Durchschnittswerte ermittelt werden. Die Bestimmung eines Durchschnittswerts ist geeignet, die angemessenen, dh diejenigen Wohnungen zu ermitteln, die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen und keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R = BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3).

3. Es entspricht der Produkttheorie, lediglich auf Wohnungsgröße und Quadratmeterpreis abzustellen und andere Kriterien - wie die Ausstattung der Wohnung - außer Betracht zu lassen. Dies eröffnet Arbeitsuchenden im Übrigen die Möglichkeit, Wohnungen anzumieten, die ihrer Ausstattung nach einen gehobenen Wohnstandard aufweisen, sofern bei der Wohnungsgröße Abstriche in Kauf genommen werden.

4. Auch die Einbeziehung von Bestandsmieten ist rechtlich unproblematisch. Derartige Daten sind zur Bestimmung des Begriffs Angemessenheit durchaus geeignet (vgl BSG vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R aaO).

5. Ein Ermittlungskonzept ist nicht deshalb unschlüssig, weil die inserierten Wohnungen nicht auf ihre Bezugsfertigkeit oder Zumutbarkeit überprüft worden sind.

6. Die Werte der Tabelle nach § 8 WoGG 2 aF zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten können nur dann herangezogen werden, wenn lokale Erkenntnismöglichkeiten nicht weiterführen (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R). Auch durchschnittliche Quadratmeterpreise können für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten nach der Produkttheorie herangezogen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.10.2010; Aktenzeichen B 14 AS 15/09 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Mai 2007 aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern in der Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2006 Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 412,00 Euro sowie unter Berücksichtigung von Heizkosten in Höhe von 120,00 Euro im Monat zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 12. April 2006 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2006) wird geändert, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, in welcher Höhe der Beklagte die Kosten der Unterkunft der Kläger in der Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2006 übernehmen muss.

Der 1959 geborene Kläger zu 1) und die 1962 geborene Klägerin zu 2) sind seit 1981 verheiratet. Die Klägerin zu 3) ist ihre 1998 geborene Tochter, die ausweislich der ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Kinderheilkunde P vom 18. März 2005 an einer ausgeprägten globalen Entwicklungsstörung mit mittelschwerer bis schwerer geistiger Behinderung leidet. Seit dem 20. Oktober 2008 ist bei ihr wegen Entwicklungsretardierung und Lernbehinderung ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt (Bescheid des Versorgungsamtes O, Außenstelle O, vom 26. November 2008). Die Familie bewohnt eine 88,59 qm große Dreizimmerwohnung, für die seit Januar 2005 eine Bruttokaltmiete von 412,00 Euro zu entrichten ist (Kaltmiete 352,00 Euro, Nebenkostenabschlag ohne Heizkosten 60,00 Euro, 120,00 Euro Heizkostenabschlag). Seit dem 1. Januar 2005 beziehen die Kläger vom Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Schreiben vom 8. Dezember 2004 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass Unterkunftskosten zunächst in Höhe von 477,87 Euro berücksichtigt würden. Für Dreipersonenhaushalte gelte in W jedoch eine Höchstgrenze von 383,00 Euro. Die Kläger wurden daher aufgefordert, die Unterkunftskosten bis zum 31. März 2005 auf diesen Betrag zu senken. Andernfalls würden Unterkunftskosten ab dem genannten Datum nur noch in der genannten Höhe übernommen. Am 1. April 2005 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass die tatsächliche Miete zunächst weiter übernommen werde. Mit Schreiben vom 15. November 2005 forderte der Beklagte die Kläger erneut zu einer Senkung der Unterkunftskoste...

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